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zu machen. Dies Werk von circa 500 Seiten, mit der französischen Uebersetzung, enthält eine reichhaltige Sammlung von Gedichten. Als besonders hervorzuheben sind Maltriou l'innocento Marthe la folle. Les deux Jumeaux et Françonnetto. Ich werde mich darauf beschränken, Ihnen den Inhalt von Marthe la folle zu geben, damit Sie dadurch eine schwache Idee dieser reizenden Dichtung bekommen.

Jasmin erzählt, dass ihm die Idee zu diesem Gedichte ein armes, altes, wahnsinniges Mädchen gegeben habe, das zu manchen Zeiten die Strassen seiner Geburtsstadt Agen bettelnd durchzog und welches dann von der muthwilligen und grausamen Jugend verhöhnt wurde, aber mit dem Anschein des grössten Entsetzens floh, wenn aus dem Kreise der Buben das Wort: „Marthe, voilà les soldats qui viennent" erscholl. Dies ist das Motiv und jetzt das, was Jasmin daraus machte.

Man sieht in einer Landschaft ohnweit der Loire ein von Bäumen verstecktes Häuschen und darin ein junges, schönes Mädchen unruhig auf- und abgehen, weinen, dann beten, bis ihre Freundin Annette zu ihr kommt, die auch zerstreut scheint, doch in anderer Art; - denn der heutige Tag ist entscheidend für das Schicksal der jungen Burschen; man loost zum Soldatenstand.

Annette fragt nun die bekümmerte Martha, ob sie wohl sterben würde, wenn Jacob zum Soldaten genommen würde. Ich weiss es doch nicht, erwiedert ihr Martha mit rührender Einfachheit. Annette tröstet sie mit naivem, doch etwas boshaftem Leichtsinn; du hast Unrecht, sterben, das wäre kindisch; ich liebe Joseph, wenn er abmarschirt, werde ich einige Thränen vergiessen; aber sterben, da werde ich lieber warten. Kein Bursche stirbt um ein Mädchen, und sie haben auch nicht Unrecht, denn leider ist es nur zu wahr: que personne ne perd plus que celui qui s'en va.

Die Mädchen, um sich zu zerstreuen, ergreifen die Karten, um aus ihnen Beruhigung zu erlangen, Alles geht gut, bis Martha zum Unglück die Pique-Dame zieht, im selben Augenblick ertönen die Trommeln und Pfeifen und die Mädchen erkennen

ihre Geliebten. Annette, die sich leicht getröstet hätte, heirathet Joseph und Martha nimmt Abschied von Jacob, der ihr ewige Treue schwört, denn er hat Nichts auf der Welt als sie, zu lieben.

Dies ist der erste Abschnitt, den Jasmin Pause nennt.

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Der zweite Abschnitt fängt mit einer Schilderung des Mai an, der mit der ganzen Gluth einer südlichen Phantasie beschrieben ist. Martha singt ein Lied an ihre Schwalben, die man nicht getrennt hat, wie sie, von ihrem Jacob noch tragen sie das Band um den Hals, das sie ihnen umwand, als Jacob mit ihr sie mit Goldkäferchen fütterten. Die arme Martha klagt und fängt an zu kränkeln, das Fieber zerstört die Frische ihrer Wangen, sie muss das Bett hüten und der Priester empfiehlt sie den Gebeten der Gemeinde. Da stirbt ein Onkel, sie verkauft den kleinen Weinberg, den sie ererbt, und arbeitet rastlos, um die Summe zu erwerben, die zur Freilassung Jacobs nöthig. Endlich hat sie es verdient, sie begiebt sich zum Priester, stürzt zu seinen Füssen und überreicht ihm die Summe. Schreiben Sie ihm, fleht sie; doch sagen Sie nicht, von wem das Geld kommt; ich bin stark und werde arbeiten um zu leben; darum sorgen Sie nicht um mich.

Die dritte Pause beginnt damit, dass der Priester sich bemüht, Jacob ausfindig zu machen; unterdess hat sich das Gerücht dieser aufopfernden Liebe in den benachbarten Gemeinden verbreitet, und die Jugend, an deren Spitze Annette, besingt Martha, die Thür ihrer Wohnung mit Kränzen schmückend und sie schon im Voraus als Braut betrachtend. Da endlich kommt ein Brief an, Jacob ist frei und wird am nächsten Sonntag eintreffen. Das ganze Dorf, Martha mit dem alten Priester an der Spitze, ziehen ihm entgegen und stellen sich auf einer Anhöhe auf, ihn freudigst zu empfangen. Da sieht man einen Schatten heraufkommen, der immer grösser wird, er ist es er ist gross geworden nein - zwei ja ein Mann und eine Frau, eine zierliche Marketenderin; und Martha mit todtbleichem Antlitz hat die Augen auf sie gerichtet: „Ein Weib, ruft sie, mein Gott, was soll's damit," und Jacob, der sie erkennt, wird bleich, und wagt nicht, weiter zu gehen;

während Alles zitternd schweigt, erhebt der ehrwürdige Priester fragend seine Stimme: „Jacob, wer ist dies Weib," und Jacob antwortet, wie ein Verbrecher zerknirscht, mit zitternder Stimme: Es ist die meinige, ich bin verheirathet. In diesem Moment ertönt ein Schrei, ein krampfhafter, ungeheurer Schrei durch die Luft, - es ist Martha, doch sie weint nicht, sie lacht, sie ist wahnsinnig um nie wieder zu genesen.

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Dies ist der Inhalt von dem in der reizenden Sprache verfassten Gedicht, aus dem sich sehr leicht ein Volksdrama bilden liesse. Nicht weniger interessant ist aber Françonnetto und les deux jumeaux. Was bei Jasmin noch auffallend war, ist, dass er seine Gedichte mit einer solchen Schönheit der Sprache und der Gesticulation vortrug, dass mir von Personen versichert wurde, die 1859 in Paris seinen Vorlesungen beigewohnt hatten, er sei nur dem berühmten Talma in Bezug auf seinen Vortrag zu vergleichen.

Was nun aber den Menschen Jasmin anbetrifft, so war er einer der liebenswürdigsten und bescheidensten Dichter, die je gelebt. Frei von Dünkel und voller aufopfernder Liebe, unermüdlich im Wohlthun. Er zog es vor, sein eigenthümliches Gewerbe fortzusetzen und widerstand den lockenden Aufforderungen, nach Paris zu kommen, vielmehr lebte er im stillen Kreise seiner Familie und Freunde das integer vitae auf einem kleinen Weinberg durch, dessen Stöcke er von seinem Landhäuschen aus alle zählen konnte.

Seine Mitbürger ehrten ihn aber auch mit seltner Auszeichnung, die gesammte Presse hatte nur einen Ausdruck über ihn; einstimmig und mit Acclamation wurden ihm der Titel: Maître ès Jeux-Floraux von der Akademie in Toulouse verliehen.

Die Académie française hat ihm am 20. August 1852 den grossen Ehrenpreis zuerkannt, und liess ausserdem ihm zu Ehren eine Medaille mit der Umschrift: „Au poète moral et populaire" schlagen, die ihm durch Villemain, ihrem Secrétaire perpétuel überreicht wurde; und endlich wurde ihm nach dem Vorbilde früherer Jahrhunderte eine goldene Krone, die durch

Tausende von Unterschriften zusammengebracht war, in öffentlicher Sitzung zu Agen feierlichst auf das Haupt gesetzt, das nun jetzt seit einigen Monden im Schoosse der kühlen Erde

ruht.

Berlin.

André Giovanoly.

Aufgaben der Uebersetzungspoesie.

Von einer Kunst und zwar einer, nach meiner Ansicht, sehr hochstehenden habe ich zu sprechen, indem ich die Uebersetzungspoesie betrachte. Die Prosa soll hier ausgeschlossen sein, denn sie erhebt sich, in Betreff der Metaphrase, nur selten zur Kunst, bleibt wenigstens unter dem Niveau der Kunst stets da, wo es sich um Uebersetzungen handelt, deren Original die inhaltliche Seite zu Ungunsten der formellen hervortreten lässt, wie das etwa der Fall ist unter römischen Schriftstellern bei Livius, unter slawischen beim Chronisten Nestor, in der Neuzeit bei Autoren, welche, das Gebiet der Orthodoxie verlassend, die Schärfe der Vernunft in Anspruch nehmen und die Leser zwingen, den ihnen hingereichten Ariadnefaden ja recht verständig abzurollen, wenn sie nicht inmitten des speculativen Labyrinthes stecken bleiben wollen. Bei Schriften der gedachten Art, deren es aus alten und neuen Tagen Legionen giebt, hat die Uebersetzung fast nur die einzige Aufgabe, den Gehalt wiederzugeben, die Form dient demselben gewissermassen nur als das Aeusserliche, minder Bedeutsame, etwa wie die Rinde des Baumes dem Kernholz gegenüber, oder wie die Schale des Obstes gegenüber der saftigen Frucht. ist die Treue der Uebersetzung die Hauptsache - und die Treue ist zwar eine Tugend, aber noch lange nicht Kunst. Anders ist es freilich bei Uebersetzungen, wo die Form wenn nicht den Inhalt überbietet, so ihm doch ebenbürtig zur Seite steht, wie dies Verhältniss in Schriften zu Tage tritt, welche Thucydides und Tacitus, oder Johannes Müller, oder Ranke, oder Alexander von Humboldt u. A. verfasst haben. Hier macht sich mehr oder minder das geltend, was man Manier heisst, und was nicht zu tadeln ist, wenn es auf richtigem Hervortreten der Subjectivität beruht, was vielmehr der Schrift

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