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seinem oben über dieselbe ausgesprochenen Urtheile, nicht erst wiederhohlen.

Mit welcher Wärme aber der Verf. feinen Gegenstand behandelt; davon zeuge folgende Stelle (S. 29), wo er die anredet, welche für den Zweck einer naturgemäßen Verede lung wirken können: Ihr Weisen und Guten, die Ihr in geistreichen Betrachtungen vertieft, Euerm Volke, das Ihr liebt, durch Verfassung und Einrichtung des Staates, durch Gesetzgebung geholfen zu sehen, so redlich wünscht; könnt Ihr einmal unbeachtet lassen, was Ihr selbst so oft als Ergebniß Eures Forschens aussprecht, daß die menschlich vollendete Staatsverfassung nur von veredelten Menschen gewählt, treu bewahrt und in Frieden genossen werden kann, und daß auch die menschenkundigste Gesetzgebung, wenn sie die bürgerliche Gesellschaft beglücken soll, die reine Gesinnung der Bürger und den guten Willen zu ihrer Befol gung und Verwaltung voraussett? - Ihr Wohlgesinnten, die Ihr durch das Streben für äußere Civilisation, durch Förderung des Verkehrs, durch Erleichterung des Gewerbes, durch Verbesserung des Anbaues der Erde, durch Vermil derung der Sitte, durch Pflege des Schönen und Aufmunterung der Künste das Wohlseyn des Volkes anbahnen helft; wollt Ihr, bei aller Eurer Einsicht, nicht erwägen, daß Eure trefflichen Vorschläge nicht ausgeführt, nicht einmal verstanden und gewürdigt werden können, ohne jene Nakurkenntniß, welche, wie jezt alles steht, dem Volke nur durch die rechten Schulen zu Theil werden kann ?"

Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, von dem Ende des großen Kampfes der europäischen Mächte

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wider Napoleon Bonaparte bis auf unsere Tage, durch Ernst Münch. Erster Band. Leipzig u. Stuttgart, Scheible, 1833. gr. 8.

Die Leser der,,Jahrbücher“ kennen den geh. Hofrath Münch in Stuttgart bereits aus den Anzeigen mehrerer seiner geschichtlichen Werke als einen freisinnigen, für den Fortschritt der Menschheit erwärmten, und durch seine stylis stische Darstellung sehr ausgezeichneten Schriftsteller. So erscheint er auch in dem Anfange des vorliegenden neu begonnenen Werkes wieder, welches die Ereignisse seit dem Jahre 1815 in einer ausführlichen und umschließenden Darstellung aufstellen soll. Dieses Werk ist auf sechs Bände berechnet, erscheint aber in einzelnen Lieferungen, jede zu 6 Bogen, in farbigem Umschlage. Bis jetzt sind dem Ref. drei solche Lieferungen, mithin 18 Bogen, zugekommen. Diese enthalten zuvörderst in einer gehaltreichen Einleitung ' die Uebersicht über die Hauptbegebenheiten des ganzen von dem Verf. hier zu schildernden Zeitabschnitts auf 110 Seiten, und sodann den Anfang des ersten Buches: von dem Wiener Congresse bis zum Congresse von Lachen (1814-1818).

Indem nun das individuelle Urtheil des Ref. nur auf das sich beschränken kann, was ihm vorliegt, findet er in den drei erschienenen Lieferungen dieselbe Freimüthigkeit des Urtheils und denselben Liberalismus wieder, die er in den früheren Werken des Verfs, erkannte; der Styl selbst aber scheint mehr gewonnen zu haben, weil es dem Verf, in der vorliegenden Darstellung gelang, mehrere, in seinen frühe ren Schriften vorkommende wie soll Ref. sagen lebhafte, zu leidenschaftliche Ausdrücke und manche Ungleich

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heiten und scharfe Ecken zu vermeiden. Versteht der Ref. das politische System des Verfs. recht, das in seinen geschichtlichen Urtheilen vorwaltet; so hält es die Mitte zwischen den Extremen der Revolution und Reaction, weil eben diese beiden Extreme, in ihrem schroffen Gegensaße, die Schuld der Leiden tragen, welche über die europäische Menschheit in der neuesten Zeit gekommen sind. Der Verf. wird also bei seinem Werke zunächst auf das Publicum rechnen und wirken, das weder durch den Umsturz alles geschichtlichen Rechts. eine völlig neue ideale Ordnung der Dinge auf dem. Wege der Revolution begründen, noch auch den Völkern, vermittelst der Reaction, die bereits erloschenen und abgestor benen Formen des Bürgerthums und Staatslebens gewaltsam wieder aufdringen will; und Rec. meint, daß die Zahl derer, welche einem vernünftigen juste - milieu (nicht dem von Frankreich gekommenen) huldigen, in Teutschland nicht klein sey. Ohne daher jedes einzelne Urtheil des Verfs. über Personen und Thatsachen zu unterschreiben, und ohne mehrere seiner aufgestellten Ansichten zu theilen, glaubt doch Ref.. das beginnende Werk den Geschichtsfreunden aus den gebildeten Stånden bestens empfehlen zu können.

Doch wir hören den Verf. selbst. Er sagt im Vor worte über den Zweck seines Werkes: Die Zeit dringt so rasch und mächtig vor, und der Strom der Ereignisse schwellt in steigendem Verhältnisse so riesenhaft an, daß selbst denjenigen, welche Theil daran genommen, oder durch die unmittelbaren Folgen auf irgend eine Weise berührt worden, von all' dem Einzelnen, was an ihnen vorüberging, kaum eine bleibende Erinnerung sich bewahren oder von dem Ganzen eine vollständige Uebersicht gewinnen mögen,

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ohne schriftliche Verzeichnung der vorzüglichsten Thatsachen, kritische Sichtung des Wesentlichen vom Außerwesentlichen, und klare, lebendige Aufstellung der mannigfachen Gruppen von Epochen, Systemen, Revolutionen und Reactionen, Parteien und Parteihäuptern, Kämpfen und Tragödien, 1 Friedensschlüssen und Congressen, und von den hervorstechenden Charakteren im Guten, wie im Schlechten, und deren Werkzeugen und Opfern. Außerdem hat der Parteiz. geist, welcher im Staatsleben und im Kirchthume, in Wissenschaft und Kunst, in Cultur und Industrie, kurz in allen geistigen und materiellen Interessen, das gegenwärtige Ges. schlecht so heftig bewegt und in zwei große Lager geschieden, daß das Naheliegendste oft unkenntlich, das Klarste entstellt bleibt."

Darauf verspricht der Verf., die zerstreuten einzelnen Züge zu einem möglichst getreuen Spiegelbilde zu sammeln, und alle Stimmen und alle Ansprüche zu vernehmen ;: er verspricht, sich zu bemühen, seiner Darstellung einen so leidenschaftslosen und unbefangenen Charakter, als von einem mitten unter den Schauspielern Begriffenen nur immer denk bar, zu geben, und überall es vergessen zu suchen, daß auch ihn Begeisterung und Unwillen, Liebe und Haß für und wider Personen und Systeme mannigfach erfaßt. — Gelingt dem Verf. die Behauptung dieser schweren psychologischen Stimmung; so wird sein Werk die flüchtigen Interessen des Augenblickes überdauern, und noch in künftigen Seiten für ein treues Abbild der wichtigen Zeit feit dem Jahre 1815 erklärt werden.

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Wie aber der Verf. seine Darstellung begann; dafür mógen.zwei Stellen sprechen, die Ref. den vorliegenden

Heften entlehnt. Die erste (S. 25) schildert den Zustand Frankreichs bei dem Lode Ludwigs 18.,,Der Tod Ludwigs 18 und die Thronbesteigung des Grafen von Artois, des Hauptes der Emigration, åndern anfänglich nur wenig in den Verhältnissen; die unzubefriedigende Partei vertagt noch eine Zeit lang ihre ungemessenen Ansprüche, um die Kraft ganz zu prüfen und die lehten Zweifel schwinden zu . machen. Der Theokratismus, neben freier Presse, auf jede Weise, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade, bes günstigt, und die Finanzen weise geregelt, bilden die Haupte stüßen der Macht Villele's; die Debats und Chateaubriand schütten vergebens den vollen bewunderungswürdigen Köcher ihrer publicistischen Pfeile gegen sein Verwaltungssystem aus; vergebens ertönt der Jesuitenlårm von einem Ende Frankreichs zum andern und wiederhallt in ganz Europa; vergebens kämpfen die Helden der Rede, Foy und Benjamin Constant, vergebens die Männer des Tiefsinns und der Wissenschaft, Royer - Collard und Guízot, vergebens die glanzvollen Geschichtsschreiber der Opposition, Mignet und Thiers, gegen den immer höher im Vertrauen Befestigten an. Die Legislation, von 1824 1825 vollendet in der Wahlkammer, welche 320 alte Privilegirte unter ihren Mitgliedern zählt, den Triumph des Minister - Prá sidenten über die Gegner aller Farben. Jeht ist der Augens blick gekommen, einige der ,,Gedanken Karls 10" durchzuführen. Die Entschädigungsmilliarde für die Emigranten, die Rentenreduction in ihrer Vollständigkeit, und das Sar' crilegiumsgesetz erhalten die Zustimmung der Kammer. Die Krönung zu Rheims beschäftigt als ein prunkvolles Gaukels spiel den einen Theil der Nation, während sie dem andern

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