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oder zur Aristokratie der frühern Zeit, in der innern Politik zur Aufrechthaltung des isolirenden Provinzenthums, in den Gewerben zum Zunftzwange des beginnenden Städtethums, im Handel zu Verboten und Beschränkungen aller Art zurückgehen will. Die menschliche Gesellschaft wird. vielmehr durch eine höhere, in ihr liegende und ganz unabweisbare, Nothwendigkeit auch fernerhin dahin getrieben werden, vom Besondern zum Allgemeinen, vom Isoliren zum Vergesellschaften fortzuschreiten, alle Wissenschaften zu ihrer gegenseitigen Förderung mehr und mehr zu verbinden, alle trens nende Gegensäße allmählig auszugleichen, und sich dem Zustande einer allgemeinen Vergesellschaftung mehr zu nåhern, in welcher die größte Mannigfaltigkeit und Selbstständigkeit der Theile besteht, diese aber durch allgemeine Wahrheiten, allgemeine Interessen, allgemeine, Allen wohlthätige, Richtungen innig verbunden sind. Dann wird das Bestres ben, in der Religion eine allgemeine Gleichförmigkeit ers zwingen, ein bestehendes Papstthum und Ausschließungssystem erhalten, oder ein neues dergleichen einführen, in der Politik eine Einförmigkeit der Herrschaft durch Gewalt bewirken, Eine Verfassung allen Völkern aufdringen, die Revolution durch eine Propaganda allgemein machen, durch Verarmung seiner Nachbarn sich bereichern, der industriellen Thätigkeit durch låhmende Verbote und Zölle aufhelfen zu wollen, nicht mehr dem wirklichen Leben, sondern, als ein abgethaner Irrthum, nur noch der Geschichte der Vergan genheit angehören.

Gedanken zur Verbesserung der Staats

beamten Pragmatik.

Bom geheimen Kirchenrathe D. Paulus zu Heidelberg.,

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Eine mächtige Ursache, weswegen Frankreich so schwer zur innern Ruhe gebracht werden kann, liegt, zwar etwas versteckt, aber für den pragmatischen Zeitbeobachter unverkennbar, in der fast ganz willkührlichen Macht der Minister, die Staatsbeamten stellen durch Entlassung, Versehung und Penfionirung im Militair- und Civildienste höchst veränderlich und von persönlichem Gutdünken abhängig zu machen. Der König, in seiner hohen, gleichsam teleskopischen, Stellung, kann, wenn er auch in das Innere der Sachen, in die Grundsåße und die Be handlungsart der auswärtigen und einheimischen Staatsge= schäfte mit so vieler Selbstthätigkeit, als man dem jeßigen Regenten der Franzosen zuschreibt, hineinblickt, kann doch die meisten, dafür nothwendigen, Personen allzu selten durch eigene, mehr als augenblickliche, Beobachtung kennen lernen. Unvermeidlich ist es, daß er auf seiner isolirenden Höhe über die Individuen, auf deren organische Tüchtigkeit am Ende in dem Gange der Staatsmaschine fast alles ankommt, doch nur theils durch umgebende Verwandte, Günftlinge, Höflinge, theils durch die Minister und wenige ihm selbst referirende Staatsdiener, ein Urtheil, oder vielmehr eine Jahrb. 6r Jahrg. IX.

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Meinung, gleichsam eine Ansicht durch fremde Brillen, erhalten kann. Die Minister selbst, wie oft werden sie geåndert, wenn gleich Ludwig Philipp offenbar klug genug ist, ungern zu wechseln, und dadurch die Unstätigkeit der ganzen Organisation allzu deutlich zu verrathen. Noch öfter aber wird, auch ohne öffentliches Aendern der Personen, das sogenannte „System" (die Totalansicht des so eben möglichen Hauptzweckes und der dazu dienlichen Mittel der Staatsverwaltung) so geändert, daß, wenn so eben noch das Land sich um die Hoffonne gedreht hat, plôhlich die Sonne um den Planeten gehen zu lernen suchen muß.

So oft nun diese Veränderlichkeiten (systematisch ?) eintreten; eben so oft wechselt zugleich ein großer Theil ́der Trabanten seine Laufbahn. Jedes neue Gesammtministerium åndert nicht nur seine Bureau's, sondern auch die Präfecturen, Mairien und vornåmlich, was zum hunderttausendåugigen Argus der Polizei, und zu der, den Argus selbst wieder bewachenden, geheimen Polizei gehört. Eine Unzahl von denen, welche gestern noch zu befehlen gewohnt waren, ist heute mundtodt, untergeordnet, ohne Einnahme, ohne das, kaum eingeübte, Geschäft. Was der so schnell eingebrochene jüngste Tag nicht ganz vernichtet, wird kometenartig in andere Bahnen hinausgeschleudert.

Der leidige Erfolg ist ohne Allegorie, daß eine Menge Geschäftskundiger, Amtsbedürftiger, Staatsgenossen, sich in Intrikanten verwandelt, welche den neuen Ministerorganismus, der sie ausstieß, von seinem ersten Werden an zu stören, und die an ihre Stellen Gekommenen sogleich bei der Uebergabe der ihnen noch unbekannten Amtsaufgaben zu hindern und irre zu führen sucht, damit baldmöglichst

dem Rade wieder ein anderer Umschwung gegeben werden muß, durch welchen sie aufs Neue obenan zu kommen hoffen. Da nun aber die Ministerwechsel und deren Folgen fast so oft, als die Jahreswechsel, cintreten; so vermehrt sich die Menge jener Unbefriedigten und Aufgereizten so sehr, daß zwar etwa im Centrum der Volkskammer wohl die Angestellten und ministeriell Begünstigten die Size füllen mögen, desto mehr aber die Opposition, oder vielmehr das Streben nach einer andern Position und Anstellung, durch das ganze Land geht, und mit jeder, in den obern Regionen schnell möglichen, Aenderung sich ins Unübersehbare vervielfältigt. Die Lust, daß es ein Anderes und immer wieder ein Ans deres werden müsse, wird, wenn gleich nicht zum Systeme, doch habituell.

Auch entsteht oder mehrt sich dadurch noch ein anderes Uebel. Weil in einer solchen Staatseinrichtung so viel vom Zufalle und vom sogenannten savoir faire (der Gelegenheitsbenutzung) abhängt; so eilen noch viel mehrere junge Leute zu dem Wagestücke, auf gut Glück für eine Staatsanstellung studiren, oder auf öffentliche Kosten lieber, als vom Privaterwerbe, leben zu wollen. Kommt es dann dahin, daß von dieser Menge nur etwa ein Drittheil in die ́vielfach unståten Stellen sich hineinzuschwingen vermag; so versteht es sich, daß bei zwei Drittheilen Wünsche nach einem Umschwunge der Dinge, kecke Revolutionsgedanken, fast unwiderstehlich emporsteigen, und daß diese sogar von den Angestellten nicht ganz zurückgedrängt werden, weil auch diese ihre, ohne Verlegung der Amtspflichten leicht mögliche, Unstätigkeit vorauswissen, und vielleicht Amtsge= horsam und persönliche Ueberzeugung besser unterscheiden,

auch zum Voraus fernere Möglichkeiten des Veränderns denken und wünschen müssen.

Diese, zu revolutionairen Gesinnungen so recht metho disch erziehenden, Grundsäße des willkührlichen Pensionirens und Versetzens, welche in Frankreich aus der alten Willkührherrschaft auch in das sogenannte conftitutionelle, aber auf diese Weise nichts - constituirende, Regime übergegangen find, konnten in Leutschland damals nicht ganz vermieden werden, als so vielerlei Låndervertauschungen und neue Vereinungen ein leichteres Verwechseln der Angestellten zur Staatsaufgabe machten. Man half sich durch scheinbare Regeln, daß der Versette - wenn ihm nåmlich bloßes Geld und Rang Alles wåre, nichts verlieren, folglich alle Minuten wie vogelfrei von Baum zu Baum verjagbar seyn follte, der Pensionirte aber für das Nichtsthun den bisherigen, oder wenigstens einen Functionsgehalt zu genießen sich glücklich schäßen müßte.

Als vorübergehend mochte dies unvermeidlich seyn. Allein da es, wie nothwendig, indeß fortdauerte; so zeigen sich bereits durch die Pensionslisten, durch das Anhäufen der Competenten, durch die furchtbare Mehrung der Aen= derungsgierigen z. die unheilschwangern Folgen, welche nur durch vorsichtiges Vermeiden der uns fremdartigen, für das einst despotische, so wie für das jest constitutionelle, aber noch immer nicht constituirte Frankreich verderblichen, Staafsmarime baldmöglichst zu entfernen seyn möchten. Das Böse und was ist mehr böse, als die Willkührlichkeit! straft sich selbst. Wohl uns, wenn, bei Zeiten gewarnt, die Wurzel des Uebels aufgegeben und dadurch das Zunehmen der verderblichen Früchte verhütet wird.!

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