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Wenn über das Lebensschicksal eines Bürgers verfügt wird, und den übrigen Bürgern neue Lasten aufgeladen werden; dann darf wohl der constitutionelle Staat, dessen Seele Gesetzlichkeit und Oeffentlichkeit ist, eine Bürgschaft fordern, daß diese Verfügungen nur von collegialisch berathener Nothwendigkeit der Anwendung der hier einschlägigen Staatsgrundsåße ausgehen und eine offene Borlegung der Gründe jede Anwendung der Maasregel beurkunden soll. Sind die Gründe dem Diener schimpflich; so soll er wenigstens nicht auf Kosten der Bürger pensionirt, sondern gestraft, und nöthigenfalls entlassen werden.

Auch für das Militair möchten in Friedenszeiten rücksichtlich der Pensionirung analoge Bestimmungen eintreten können, und vielleicht die collegialische Mittelbehörde zu ersehen seyn durch einige, vom Corps gewählte, Officiere, die zweckmäßig, åhnlich den Militairgerichten, zu einem Collegium gebildet werden könnten. Ist dieses vielleicht für Kriegszeiten weniger angemessen zu finden, obgleich der größte Feldherr unsrer Zeit auch im Kriege die Anstellung der Officiere zum Theile åhnlich bestimmen ließ; so ist wohl gewiß, daß wir viel långer Friedenszeiten, als Kriegszeit haben werden, und daß in Friedenszeiten keine Gefahr für den Staat entsteht, wenn eine große Reihe von Pensionirungen erschwert oder suspendirt wird. Kommt Krieg; so müssen ohnehin häufig diejenigen wieder ausgeschieden werden, die man an die Stelle der Penfionirten sezte.

Genug. Der Zweck ist: für die Gesetzgebungen die Aufgabe klarer zu machen, wie die Unabhängigkeit der Gerichte und der Volkskammer, das Schicksal aller guten Staatsdiener und die Herrschaft der wahren Staats- und Rechtsgrundsäße mehr und mehr gesichert werden könne.

Heidelberg, 25. Juni 1833.

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Chronik des neunzehnten Jahrhunderts. Neue -
Folge. Sechster Band, das Jahr 1831 enthaltend.
Von D. Karl Venturini. Leipzig, 1833, Hinrichssche
Buchhandlung. VIII und 778 S. gr. 8.

Auch unter dem zweiten Titel:

Die neuesten Weltbegebenheiten im pragmatischen
Zusammenhange, dargestellt. Das Jahr 1831.

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Das pünctliche Erscheinen dieser Chronik, deren in diefen, Jahrbüchern" bereits zum sechstenmale gedacht wird, verbürgt nicht nur das anerkannte Bedürfniß eines solchen Werkes, sondern zugleich auch die Zweckmäßigkeit seiner Ausführung. Ref. sagt daher seinen Lesern nichts Neues, wenn' er yersichert, daß der Verf. in Hinsicht der Behandlung des Stoffes, der lebendigen Form der Darstellung und des freimüthigen Urtheils über die dargestellten Weltbegebenheitensich gleich blieb. Es wird daher auch die Behandlung der Ereignisse des Jahres 1831 nach diesem Maasstabe dem Publicum eben so willkommen seyn, wie es die frühern Jahrgänge waren.

Nach seiner Gewohnheit, beginnt der Verf. in der Ein, leitung (S. 1-33) mit einer zusammengedrängten Uebersicht der wichtigsten Weltbegebenheiten des Jahres 1831, über welche er dann nach den einzelnen Reichen und Staas ten ausführlich commentirt. Er hebt mit dem Kampfe in

Polen an; es folgt darauf ein Blick auf Rußland, Preußen, Destreich, Frankreich, England (mit der Reformbill), auf die Protocolle der Londoner Conferenz in Betreff der niederländisch-belgischen Frage, auf Italiens Gährungen, auf Leutschlands verschiedene 'Gaue, auf die beiden Staaten der pyrenäischen Halbinsel, auf die skandinavischen Staaten, auf Griechenland, auf die Türkei (wo Ref. den Ausdruck - S.31 — „das faulende Aas der hohen Pforte“ hinweggewünscht hätte), und zuleßt auf die Staaten der ́ transatlantischen Welt, auf Nordamerika, Mexiko, Columbien, Chili, Bolivia, Peru, Centroamerika, la Plata und Brasilien. Schon früher hob, es der Ref.. als ein bes sonderes Verdienst. dieser Chronik, vor ähnlichen Urbeiten, hervor, daß sie auch die Geschichte der amerikanischen Staaten ausführlich in ihren Bereich ziehet, wenn gleich diesmal das Jahr 1831 nicht so folgenreich an wichtigen Begebenheiten in Amerika war, als einige seiner Vorgånger..

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Behandlung des Stoffes, politische Grundsåße und Farbe der stylistischen Darstellung lassen, bei einem geschichtlichen Schriftsteller, am sichersten nach einzelnen Belegen sich_bes / urtheilen. Es wird daher den Lesern der ,,Jahrbücher “ nicht unwillkommen seyn, wenn Ref. einige Stellen aus dem vorliegenden Baṇde aushebt. Die erste betreffe Polen, wo der Verf. sehr richtig bemerkt, daß der erste Zweck der Novemberrevolution von 1830 die Herstellung der Aristo kratie des Adels war, ob er gleich die von Rußland ergrif fenen Maasregeln keinesweges beschönigt. Er sagt (S. 6): Wie bei keiner der frühern Insurrectionen, wodurch die privilegirte Adelskaste ihre Vorrechte im Namen der Freiheit Jahrb. 6r Jahrg. IX.

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wieder zu erringen strebte, die Absicht gewesen war, das Verhältniß von Millionen leibeigener Bauern wesentlich zu verbessern; so war auch bei dem Ausbruche der letzten Infurrection davon gar nicht die Rede. Vielmehr zeigte sich dem unbefangenen Beobachter, als Haupthebel der letzten Bewegung, nur das Streben nach Wiederherstellung der alten Adelsherrschaft, verbunden mit wilder Begier, Rache zu üben für so viele von dem fremden Zwingherrn erduldete Unbilden."Er schildert darauf Chlo picki's Schwanken, worin er die Hauptquelle des Mißlingens fast aller spåtern Unternehmungen zu Polens Befreiung zu finden glaubt. Ref. urtheilt über Chlopidi minder streng; denn ihm scheint gewiß zu seyn, daß Chlopicki, ein General aus Napoleons Schule, überzeugt war, das Wagestück der polnischen Revolution könne nur durch Polens Unterstützung vom Auslande gelingen, und auf eine solche Unterstüßung schien sein politischer Blick wie auch der Erfolg bewies ter den damaligen politischen Conjuncturen im übrigen Europa nicht zu rechnen. Der Verf. sagt darauf:,,Das (durch Chlopicki's Schwanken) Versäumte vermochte weder die fünfgliederige Nationalregierung, noch der nach altpolnischer Weise von Parteisucht zerrissene Reichstag wieder einzubringen. Zur Einheit fester Beschlüsse ließ es überdem die wilde, leiden-, schaftlich tobende Revolutionspartei nie gelangen. Sie war es vorzüglich, die darauf drang, daß Polens Thron für erledigt erklärt und so das lehte Versöhnungsmittel vernichtet werden mußte. Es ist jedoch mehr als wahrscheinlich, daß täuschende Versprechungen von Frankreich aus Lelewel und seine bethörten Consorten zu jenem, nach der ersten Versåumniß völlig unklugen, Wagstücke verleitet hatten."

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Es folge des Verfs. Schilderung Griechenlands (S. 30) im Jahre 1831. Als die hochgepriesene legitime Politik Griechenland endlich zur Befreiung vom türkischen Joche verhalf, kam es ihr ersichtlich weit weniger auf feste Begründung dauernder Nationalwohlfahrt des Griechenvol kes, als auf die Schöpfung eines Cabinets an, welches die sogenannten freien Griechen in der diplomatischen Welt repråsentiren könnte und sollte. Ein russischer Minister ward vorerst als Stellvertreter des noch auszumittelnden legitimen Herrschers an die Spiße des neuen Staates gestellt. Aber dieser sonst kluge, in der Schule des St. Petersburgischen Cabinets gebildete, Mann hatte so wenig die eigenthümliche Nationalität des Griechenvolkes begriffen, daß er den ftarrfinnigen Widerstand desselben gegen seine, wenigstens über eilten, Verfügungen durch einen Despotismus zu brechen hoffte, welcher alle Gefühle und noch dazu alle Rechte des Volkes verlehte. Also brach im Jahre 1831 der Aufruhr, wozu das Vorbild von der Maina - dem alten Spartagegeben ward, in allen Gegenden des Landes aus. Ma us romichalis und die Inselprimaten standen an der Spike der Unzufriedenen. Die Anarchie erhob ihr gräßliches Medusenhaupt, die kaum gedämpfte Seeräuberei kam wieder in Gang, und als nun mit russischer Hülfe der wilde Dåmon nicht blos gezügelt, sondern in Ketten geschlagen werden follte; da gab der griechische Seeheld Miaulis, die eigene Flotte den Flammen opfernd, der europäischen Diplomatie ein Trauerspiel, welches sie in starres Erstaunen verfeßte. Jenem Trauerspiele folgte bald ein noch schrecklicheres: Capo d'Istrias Ermordung! An des Gemordeten Stelle trat nun die Gerusia, die Grenzen ihrer Bevollmächtigung

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