Page images
PDF
EPUB

Man muß jenen gelehrten Männern zugeben, daß für die Thatsachen der Geschichte Alexanders wenig aus dem Roman des falschen Kallisthenes gewonnen werden kann; ob aber, wie sie meinen, für die Beurtheilung des Mannes selbst und seiner Weltstellung gar nichts aus der sorgfältigen Beachtung dieses Romans erzielt werde, möchte ich sehr bezweifeln; vielmehr scheint mir gerade der Umstand, daß sich an die Person dieses Kö= nigs von seinen Lebzeiten an die Volkssage schmückend und verherrlichend angeheftet hat, den glänzendsten Beweis zu liefern, daß sein Auftreten für eine ganze Reihe von Jahrhunderten alles Interesse verschlang und seine Thaten, seine Persönlichkeit und sein ganzes Dichten und Trachten mit dem Geifte der Völker, unter denen. er gelebt, aufs innigste zusammenschmolz. Geben wir aber auch jene stolzen Beurtheilungen vom Gesichtspunkte der eigentlichen Historie ausgehend als richtig zu: so wird doch Niemand läugnen, daß dieser Roman und Alles, was aus und mit ihm entstanden ist, für die Literar und Kulturgeschichte eine unerschöpfliche Fundgrube darbietet, in welcher ganze Jahrhunderte ihre Schäze niedergelegt haben. Er ist als ein beliebtes Volksbuch zu betrachten und alle Volksbücher sind der höchsten Beachtung werth, weil sie uns einen Sittenspiegel der Zeit vorhalten. In Deutschland wird dies auch jezt wohl Niemand mehr bestreiten, wo man seit geraumer Zeit der Kulturgeschichte den gebührenden Plaz eingeräumt hat.

=

Ueber die verschiedenen Bearbeitungen, die der Roman im Neugriechischen erfahren hat, spricht Gräße

a. a. D. S. 439. Von einer bisher noch nicht erwähnten volksmäßigen Bearbeitung gibt Dr. A. Ellissen in einer Abhandlung Bericht und kurze Beschreibung, die den Titel führt: Bemerkungen über die Gedichte des Manthos Joannu von Jannina aus dem ersten Viertel des 18. Jh. (S. Viehoff: Archiv für d. Stud. d. neueren Sprr. Bd. III, Hft. I, S. 150 ff.). Diese Gedichte stehen in einer Sammlung, die nach dem Hauptgedichte des Manthos den Titel führt: Evμpoga nai αἰχμαλωσία Μωρέως στιχολογηθεῖσα παρὰ Μάνθου Ιωάννου τοῦ ἐξ Ἰωαννίνων μὲ (mit) προςθήκην ἄλλων αξιολόγων υποθέσεων καὶ ἀφιερωθεῖσα τῷ ἐντιμωτάτῳ καὶ εὐγενεῖ κυρίῳ Ἰωάννη Δημητρίου. Ἐν Βενετίᾳ ἐκ τῆς ἑλληνικῆς τυπογραφίας τοῦ φοίνικος 1839.

Nach Ellissens Untersuchungen ergibt sich Folgendes. Manthos, ein Volksdichter, der in der ersten Hälfte des 18. Jh. lebte, zeichnete sich besonders aus durch die poetische Schilderung der Eroberung und Verwüstung der Morea (1714 ff.), deren Augenzeuge er war. In jener Sammlung sind, wie der Titel sagt, diesem Hauptgedichte noch eine Anzahl kürzerer Charakterzeichnungen desselben Dichters beigefügt von den hervorragendsten Gestalten aus der Vorzeit des griechischen Orients, so wie sich ihr Bild, völlig unabhängig von den authentischen Geschichtsquellen, durch Tradition in der Vorstel= lung des griechischen Volkes lebendig bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt hat. Drei Namen leuchten vor allen aus dem Dunkel der Vergangenheit mit unverwischbarem Glanze herüber: Christus, Alexander und Konstantin, sich knüpfend an

die Städte Jerusalem, Alexandria und Konstantinopel, welche nach griechischer Vorstellungsweise die Ausgangspunkte griechisch-anatolischer Religion und Kirche, griechisch-hellenischer Weisheit und Wissenschaft und griechisch-rhomäischer Macht und Herrlichkeit sind. S. 62-66 folgt eine eigne στιχολογία περὶ ̓Αλεξάνδρου καὶ τῶν αὐτοῦ ἀνδραγαθημάτων, ohne 3weifel ein Mujug aus der alten, den Briefen des Curtius, Plutarch und Arrhian durchaus fremden Volkssage von Alexan= der, wie sie schriftlich im Pseudo-Kallisthenes niedergelegt ist (das anonyme Gedicht v. 1388, das Gräße erwähnt, handschriftlich in Venedig, ist eine Umschreibung des Pseud-Kall. in politischen Versen). Es wird darin berichtet: die Geschichte von der Taucherglocke, um die Kriegsführung der Fische kennen zu lernen; wie Alexander als Kundschafter ins Lager des Darius geht (der wie ein wildes Thier beschrieben wird), wie er ihm als Mundschenk dient; wie er Alexandria erbaut, die noch jezt hoch gepriesene. Am Schluß eine fromme Betrach= tung, daß der große Alerander, ob er auch mit dem Säbel die Welt gewonnen habe, doch seine unglückliche Seele nicht habe retten können (der Dichter geht also noch einen Schritt weiter als Lampr., der den Eroberer gerettet werden läßt). Außer den von Gräße angeführten finden sich auch noch zwei prosaische neugrie chische Bearbeitungen, über welche Zacher wohl weiteren. Aufschluß geben wird.

[ocr errors]

Che ich zu der französischen Bearbeitung des Romans übergehe, will ich von 2 in Deutschland erschienenen lateinischen Bearbeitungen des griechischen Werkes spre

[ocr errors]

chen, die dem Original näher stehen, als der Julius Valerius. Es sind dies: 1) historia Alexandri magni regis macedonie de preliis. Argentine 1486. und 2) Excerptum de vita Alexandri magni in Ekkehardi Chronicon universale (ed. Waitz in: Pertz Monumenta Germaniae historica VIII, 60-75). Ich stelle ersteres Werk, obgleich um 3 Jahrhunderte später, deßwegen voran, weil es, aus derselben Quelle schöpfend, das ausführlichere ist und vollkommen den Gesichtspunkt des griechischen Romandichters festhält, während der Chronist Ekkehardus mit dem Auge des Geschichtschreibers das Ueberlieferte zu prüfen bemüht ist. Das erstere Werk, gewöhnlich liber Alexandri de preliis genannt, erschien zuerst Trajecti ad Rhenum Nic. Ketelaer et Ger. de Leempt 1473, und noch in demselben Jahrhundert in fünf Ausgaben zu Straßburg und einmal zu Rom, ein Beweis, wie fleißig das Buch zu jener Zeit in Deutschland gelesen wurde. Als Verfasser wird bald Julius Valerius, bald Eusebius, bald Rudolfus von Albano (der 1150 verstorbene Abt von St. Albans) genannt; in der mir vorliegenden Straßburger ersten Ausgabe findet sich gar kein Name. Ob der Verfaffer dieses Werkes das griechische Original vor Augen gehabt oder eine frühere lateinische Bearbeitung zu Grunde gelegt habe, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls stimmt es am meisten mit der Hschr. A., mit der es zu Anfang wörtlich zusammentrifft (S. den Abdruck bei Philippi a. a. O. S. 14 f.) und auch das Werk des Palladius über Indien in dem Abschnitt von den Brachmanen aufnimmt. Für die An: nahme, daß es eine neue Bearbeitung einer lateinischen

Recension des Pseudo- Kallisthenes sei, sprechen die oft ganz abweichenden Eigennamen und besonders auch die geringe Vertrautheit mit dem Griechischen in jener Zeit. Nach Zachers noch nicht veröffentlichten Untersuchungen bildet es den andern Hauptzweig aus dem gemeinsamen Stamme des griechischen Kallisthenes, während in dem Julius Valerius der eine und zwar der ältere zu finden wäre. Die Gestalt aber, wie ste der Druck darbietet, ist nicht mehr die ächte, Spuren derselben finden sich in Ekkehards Chronikon; hoffentlich wird es Herrn Zacher gelingen, diese ursprüngliche Gestalt wieder herzustellen aus Drucken und Handschriften (vgl. Gerv. Lit 13. 275). Verglichen mit Ekkehards Darstellung ist es weit poetischer, wenn es auch in keiner Weise unserm Lamprecht nahe gebracht werden darf. Ich hebe einige Stellen heraus, theils wegen ihrer Uebereinstimmung mit Lamprecht oder dem französischen Dichter, theils wegen ihrer Eigenthümlichkeit, wobei freilich unentschieden bleiben muß, ob leztere einem lateinischen Vorbild oder der Hschr. A. (1711) zu Gute kommt, von der nur Einzelnes gedruckt ist.

a3 Spalte 4 sagt Nicolaus, nachdem er den jungen Alerander angespieen: tolle, quod te decet habere, catule. Aler. erwiedert: iuro tibi per paternam pietatem et per uterum matris meae, in quo fui a deo conceptus (vgl. II, 25).

a. In der Belagerung von Tyrus stimmt die Darstellung auffallend mit der des franz. Romans überein (vgl. II, 316-21).

6

a Sp. 3 f. wird die Begegnung mit den Juden

« PreviousContinue »