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sich nur tot stellt, um sich so den Quälereien seiner Gläubiger zu entziehen.

Am reichsten entwickelt zeigen die Sage vom dankbaren Toten, soweit mir die Versionen bekannt geworden sind, die germanischen Länder. Eine Fassung der Sage aus Schweden, welche bereits George Stephens (Ghost-Thanks p. 8) erwähnt hat, findet sich in Bäckström, Svenska Folkböcker (Stockholm 1845) II, 144 ff.: Pelle Båtsman. Vgl. Germania XXIV, 130 ff. Pelle Båtsmann bezahlt auf einer Reise die Schuld eines Toten und verschafft ihm so die Ruhe, die er bisher im Grabe nicht finden konnte, weil ihn sein gleichfalls bereits gestorbener Gläubiger allnächtlich aus dem Grabe jagte und durchpeitschte. Pelle gerät dann unter die Räuber, unter denen er eine Prinzessin, die Tochter des Königs von Armenien, findet. Mit dieser flieht er an Bord eines Schiffes, um sie ihrem sie suchenden Vater zuzuführen. Der neidische Schiffsführer aber setzt Pelle aus, und nur durch die Hilfe des dankbaren Toten gelingt es diesem, nach Armenien zu kommen und die Hand der Prinzessin zu erlangen. George Stephens hat a. a. O. p. 73 f. als „afterword" zu seinem Abdruck des „Sir Amadas" eine altschwedische, zwischen 1265 und 1270 geschriebene Version der Sage im Urtext mit gegenüberstehender englischer Übersetzung mitgeteilt: Om Pipinus Franka Konung eller Sagan om det Jordade Liket. Dieselbe stammt aus Ett Forn Svenskt Legendarium, innhållande Medeltids Kloster-sagor om Helgon, Påfvor och Kejsare ifrån det 1 sta till det 13de århundradet. Efter gamla handskrifter af George Stephens, Esq., 8vo. Vol. 2, Stockholm 1858, p. 731. Die Tochter des Königs von Frankreich, die Erbin des Reiches, verspricht als vielumworbene Prinzessin, demjenigen ihre Hand zu reichen, der in einem von ihr ausgeschriebenen Turnier Sieger bleiben werde. Auf die Nachricht hiervon macht sich Pipin, der Herzog von Lothringen, auf den Weg zum Turnier. Er nimmt die erste Nacht Herberge bei einer Witwe, welche den Tod ihres noch auf der Bahre liegenden Gatten beweint, der einst ein mächtiger und frommer Mann so arm gestorben ist, dafs sie ihn nicht nach seinem Willen bestatten lassen kann. Hochherzig veranstaltet Pipin dem Toten ein ehrenvolles Begräbnis. Als er seine Reise fortsetzt, trifft er einen Mann auf stattlichem Rosse, welcher ihm sein mit dreifachen Vorzügen ausgestattetes Pferd gegen das Versprechen der Teilung des einstigen Gewinnes abtritt. Pipin zögert nicht, auf den Vertrag einzugehen, und gewinnt mit Hilfe des Rosses die Königstochter. Als später sein Helfershelfer die versprochene Teilung alles Gewonnenen fordert, bietet ihm Pipin zuerst das halbe, dann, als jener auf die Königstochter hinweist, das ganze König

reich. Da erklärt der Mann, dafs er die Seele jenes Toten sei, den er einst begraben habe, und dafs in dem Rosse ein Engel Gottes ihm geholfen habe für seine grofsmütige Nächstenliebe. Aus Norwegen kennen wir zwei Märchen, welche wir beide P. Chr. Asbjörnsens Yaletraeet, Christiania 1866, verdanken (Nr. 8 u. 9). Vgl. Felix Liebrecht, Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 1868, p. 451 ff., sowie Germania XXIV, 131. (I) Nr. 8: „Krambodgutten med Gamelostlasten" erzählt von einem Ladendiener, welcher einen Toten bestattet und eine Prinzessin loskauft. Von dieser wird er durch einen früheren Bewerber derselben, der ihn ins Meer stürzt, getrennt, als er im Begriff steht, die Gerettete ihrem Vater zu bringen. Der Geist des Toten führt die Liebenden am Schlusse glücklich zusammen. (II) Nr. 9: Fölgesvenden. George Stephens (a. a. O. p. 8) sagt über das Märchen: It was taken down from the mouth of the people in Aadalen and Aamot by P. Chr. Asbjörnsen, and was printed in Illustreret Kalender for 1855, Christiania. 8vo, pp. 32-39." Ein junger Bauer zieht in die Ferne, um nach der Weisung eines Traumes die Hand einer schönen Prinzessin zu erlangen. Auf seinem Wege bestattet er in einer Stadt die Leiche eines betrügerischen Weinzapfers, welcher hingerichtet worden war und dessen Leichnam nun von allen Vorübergehenden bespien wird. Auf seiner weiteren Reise gesellt sich des Weinzapfers Geist zu ihm und verschafft ihm durch wunderbare Mittel die Hand der Prinzessin. Ein islän

disches Märchen aus Jón Árnason: Íslenzkar Þjódsögur og aefintýri, Leipzig 1864, II, 473-479, auf welches bereits F. Liebrecht a. a. O. hingewiesen hatte, hat R. Köhler (Or. u. Occ. III, 101 ff.) mitgeteilt. Vgl. auch Felix Liebrecht, Germania XXIV, 131; Poestion, Isländische Märchen, Wien 1884, p. 276. Thorsteinn, ein Königssohn, der durch Verschwendung seinen Reichtum verloren hat, verkauft sein Reich und zieht mit dem Erlös in die Welt. Er bezahlt die Schuld eines Toten, der zwar beerdigt, dem aber der Frieden des Todes versagt ist wegen der vom Gläubiger auf sein Grab geführten Schläge. Auf seinen weiteren Fahrten erwirbt er in einem Riesenschlosse eine Prinzessin, die er nach Hause zu führen gedenkt. Der Schiffskapitän Raudr indessen wirft ihn in die See. Vom Geiste des Toten gerettet, kommt Thorsteinn an den Hof des Königs, dessen Tochter, seine Geliebte, ihn in dem Augenblicke erkennt, als sie mit Raudr vermählt werden soll. Der Nebenbuhler wird für seine verbrecherische That, welche jetzt erst ans Licht kommt, bestraft, und Thorsteinn erhält die Prinzessin zur Frau. Auch in Dänemark ist unsere Sage heimisch. R. Köhler hat (Or. u. Occ. II, 327) ein dänisches Märchen, „Der Reisekamerad“, aus Andersen, Gesammelte Märchen, Leipzig 1847,

III, 85, besprochen. Es zeigt Verbindung mit der Sage von den zu erratenden Gedanken, die sich noch in einigen anderen hier zu besprechenden Märchen findet. - Gleichfalls von fremden Stoffen beeinflußst sind die von R. Köhler (Or. u. Occ. III, 99) erwähnten beiden Märchen aus Grundtvig: Gamle danske minder i folkemunde, Kjøbenhavn 1854, deren erstes, p. 77, Anlehnung an die Sage vom gestiefelten Kater zeigt, deren letztes, p. 105, in einem Punkte an das oben genannte sicilianische erinnert.

In England ist die bedeutendste Gestaltung der Sage die im Sir Amadas", einer Schweifreim-Romanze, welche uns in zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts überliefert ist. Eine Analyse der Romanze, welche von H. Weber (Metrical Romances III, 241–275) und von J. Robson (Three Early English Metrical Romances, London 1842, p. 27-56) herausgegeben, von George Stephens (Ghost-Thanks or the grateful unburied etc., Cheapinghaven 1860) wiederabgedruckt wurde, ward nicht, wie W. Förster vermutete, zum erstenmal von ihm selbst, sondern bereits 1864, also zehn Jahre vor der von Förster in seiner Einleitung zu Richars li Biaus gelieferten, von R. Köhler (Or. u. Occ. II, 325) gegeben. Der uns erhaltene Teil der Romanze beginnt damit, dafs Sir Amadas mit seinem Steward über seine schwierige finanzielle Lage berät. Der Steward macht ihm den Vorschlag, bei seinen Gläubigern eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist seiner Schulden zu erbitten, sich vor allem nach Möglichkeit einzuschränken und sein Gefolge thunlichst zu verringern. Amadas ist damit nicht einverstanden. Er müfste, sagt er, zu lange sparen, ehe all seine Schulden bezahlt wären. Zudem würde er es nicht ertragen, in Spott und Schande da zu leben, wo er geboren und so gut gekannt sei. Er trägt daher seinem Steward auf, sein Land auf sieben Jahre zu verpfänden und seine bedrängte Lage geheim zu halten. Er selbst will so lange in die Fremde ziehen, bis er sich wieder in besseren Verhältnissen befinde und schuldenfrei sei (Str. III). Vor dem Abschiede aber will er sich noch einmal freigebiger und fürstlicher zeigen denn je. Bevor er daher aufbricht, spendet er Rittern und Knappen reiche Gaben, schenkt ihnen Rosse, Falken, Hunde. Dann macht er sich auf den Weg und läfst in seiner Kasse nur 40 Pfund (Str. V). Als er seines Weges dahin reitet, kommt er an eine Kapelle, in welcher er ein Licht brennen sieht. Er schickt seinen Knappen hinein, um zu erfahren, was es mit diesem für eine Bewandtnis habe; derselbe thut, wie ihm befohlen, kann aber wegen eines sehr üblen Geruches die Kapelle nicht betreten, wirft nur einen Blick durch das Fenster und sieht eine Bahre mit zwei brennenden Lichtern, neben welcher trauernd eine Frau sitzt (Str. VII). Nachdem er zurückgekehrt, um seinem Herrn zu melden, was er gesehen,

schickt Amadas behufs genauerer Information seinen Squier nach der Kapelle, der dem Ritter wesentlich dasselbe berichtet und nur hinzusetzt, dafs die Frau die Hände ringe und zu Gott schreie, sie wolle den Leichnam, der auf der Bahre liege, nicht verlassen, bis sie selbst sterbe (Str. X). Nun macht sich Amadas selbst auf den Weg, geht in die Kapelle und fragt die Trauernde, weshalb sie bei dem Leichnam Wache halte. Sie erzählt dem Ritter, dafs der, dessen Leiche vor ihr läge, ihr Mann gewesen sei, dafs er als wohlhabender Kaufmann jährlich eine Einnahme von 300 Pfund gehabt habe, dennoch aber wegen unbeglichener Schulden hier unbeerdigt liege. Es sei nämlich, so fährt sie fort, seine Gewohnheit gewesen, Ritter und Lords in fürstlicher Weise zu beschenken, auch habe er nicht selten glänzende Feste gegeben und die Armen alltäglich gespeist. Keinem, der ihn um ein Darlehen anging, konnte er seine Hilfe versagen (Str. XIII). Um diesen ungeheuren Aufwand zu bestreiten, mufste er natürlich Schulden machen; und er habe deren so viele gehabt, dafs sie sich schäme, es auszusprechen. Als nun der Tod sie von ihrem Gemahl trennte, da seien alle Gläubiger gekommen, hätten ihr Geld verlangt und in Ermangelung desselben Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine weggenommen. Sie habe alles, was ihr Mann hinterlassen, hergegeben, auch ihren Witwenanteil hingeopfert. Er schuldete indessen noch viel mehr (Str. XV). So war er einem Kaufmann noch 30 Pfund schuldig. Als dieser gehört hätte, erzählt die Witwe weiter, dafs ihr Mann gestorben, sei auch er gekommen, habe sein Geld gefordert und, da sie zahlungsunfähig gewesen, die Bestattung der Leiche untersagt. Um dieselbe nun vor Beschimpfung zu bewahren, hüte sie bereits seit 16 Wochen den teuren Leib und werde ihn hüten, bis der Tod sie von ihrer Pflicht entbinde. Nachdem Amadas die Trauernde nach dem Namen des grausamen Gläubigers gefragt, verabschiedet er sich (Str. XVII). Nachdenklich über sein eigenes Treiben, das dem des unglücklichen Kaufmanns genau gleicht, reitet er von dannen und befiehlt seinem Sompterman, nichts bei der Tafel fehlen zu lassen, da er den Kaufmann, den Gläubiger des Toten, zum Abendessen bitten wolle. Dieser folgt mit seiner Frau der Einladung des Ritters; aber Amadas ist bei der Tafel verstimmt; er denkt fortwährend an den unglücklichen Schuldner auf der Bahre (Str. XX). Endlich erzählt er seinem Gaste, was er im Laufe des Tages erlebt hat. Der Kaufmann, der sofort den Sachverhalt durchschaut, hält mit der Eröffnung nicht zurück, dafs der Tote sein Schuldner sei, und dafs er zur Bestattung desselben unter keinen Umständen seine Einwilligung geben könne. Auch die dringendsten Bitten seines Gastgebers, dem Toten zu verzeihen und die Leiche freizugeben, weist er entschieden zurück (Str. XXII). Da läfst Amadas von seinem Steward 30 Pfund holen und bezahlt die Schulden des Verstorbenen. Als der Gläubiger ihm nun erklärt, dafs er befriedigt sei, läfst der freigebige Ritter für die noch in seinem Besitz befindlichen 10 Pfund den Leichnam beerdigen und bittet alle Geistlichen und Leidtragenden, die am Begräbnis teilnahmen, zu sich zum Mahle (Str. XXVII). Nach demselben reitet Amadas Archiv f. n. Sprachen. LXXXI.

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davon, obwohl er nicht weifs, wo er die Nacht zubringen soll, da er all sein Hab und Gut verausgabt hat. Als er sechs Meilen von der Stadt entfernt ist, eröffnet er schweren Herzens seinem Gefolge, dafs er es entlassen müsse, da ihm die Mittel zur Unterhaltung fehlten. Sollte ihm aber dereinst noch ein besseres Los beschieden sein, so wären sie ihm alle wieder herzlich willkommen (Str. XXXI). Nachdem seine treuen Diener unter Thränen von ihm geschieden sind, steigt Amadas von seinem Rosse und ergeht sich in verzweiflungsvollen Selbstanklagen wegen seiner leichtsinnigen Freigebigkeit. Er bittet Gott, ihn nie wieder dahin zu führen, wo man ihn als Ritter gekannt habe, ihn entweder sterben zu lassen oder ihm recht bald Hilfe zu senden (Str. XXXVI).

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Da naht sich ihm unversehens ein Ritter in weifsen Kleidern auf weifsem Rosse, den er höflich grüfst. Der Fremde ermahnt ihn, seine Klagen einzustellen, da irdisch Gut nur erborgtes Gut sei und es so viele Menschen gäbe, die solches nicht besäfsen. Er solle nur sein Vertrauen auf Gott setzen; dieser allein werde ihm helfen (Str. XXXIX). Der weilse Ritter erzählt Amadas auch, dafs in der Nähe ein König wohne, der eine reizende Tochter habe, die ihr Vater über alles liebe und nur demjenigen Ritter zur Frau geben wolle, der sich im Felde am besten schlüge. Er (Amadas), der schönste Ritter, den er je gesehen, möge daher zu jenem Könige gehen, frohen Mutes, ohne Gefolge. Er solle dem Könige sagen, seine Leute seien bei einem furchtbaren Sturme, der ihn auf dem Meere überrascht, ertrunken. Auch möchte er sich bei Hofe recht freigebig und ritterlich zeigen; er selbst, der weifse Ritter, werde für alles Nötige Sorge tragen. Am Hofe des Königs werde er nämlich Ehren und Güter, dazu auch die liebliche Königstochter gewinnen. Eine Bedingung aber stellt der Fremdling: Amadas müsse mit ihm dereinst alles teilen, in dessen Besitz er durch seine Hilfe gelangen werde (Str. XLII). — Amadas geht gern auf diesen vorteilhaften Vorschlag ein und verspricht dem weilsen Ritter beim Abschiede Treue und Dankbarkeit. Als er an den Meeresstrand kommt, findet er wunderbarerweise Trümmer von gestrandeten Schiffen, Kisten und Kasten, gefüllt mit kostbaren Schätzen. Er legt ein goldgewebtes Kleid an, besteigt das schönste Rofs und reitet an den Hof des Königs. Dieser schickt ihm Boten entgegen, welche ihn empfangen und ihm mitteilen sollen, dafs der König ihn willkommen heifse und bereit sei, für sein Gut, wenn er es wünsche, Sorge zu tragen (Str. XLVII). Als die Gesandten ihren Auftrag ausgerichtet haben, teilt ihnen Amadas mit, er habe mit einer glänzenden Ausstattung und reichem Gefolge hierher kommen wollen; in einem furchtbaren Sturme aber habe sein Fahrzeug Schiffbruch gelitten und sein Gefolge den Tod gefunden. Der König nimmt ihn, als die Gesandten ihn zur Burg geleitet haben, gastlich auf und beglückwünscht ihn, den herrlichsten Ritter, der ihm je erschienen, zu seiner glücklichen Rettung aus Sturmesnot. Auf einen öffentlichen Aufruf des Königs sammeln sich viele Herren um Amadas, die ihm dienen und folgen wollen. Bei einem Turnier findet der ritterliche Gast bald Gelegenheit, seine mannhafte Tüchtigkeit zu zeigen.

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