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Beurteilungen und kurze Anzeigen.

H. Bulthaupt: Dumas, Sardou und die jetzige Franzosenherrschaft auf der deutschen Bühne. Berlin, R. Eckstein, 1888. 42 S. gr. 8. Preis 50 Pf.

Das schmucke Büchlein bildet die vierte Nummer der seit dem vorigen Jahr erscheinenden, gewandt geschriebenen Litterarischen Volkshefte", welche sich die Aufgabe gestellt haben, den Kreis der Gebildeten über die in Flufs befindlichen litterarischen Fragen zu orientieren.

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Ohne Zweifel ist die Abhängigkeit der Dramatiker des modernen Deutschland von den weltbeherrschenden französischen Vorbildern eine der brennenden Fragen des geistigen Lebens. Das deutsche Schauspiel steht unter dem Sterne der Franzosen, wie vor einem Jahrhundert. Spielhagens Gerettet" liebäugelt mit dem Laster und will die „teutsche Tugend schonen, Philippis Daniela" ist ein jammervoller Abklatsch von Sardous Rezepten, die Gräfin Lambach“ von Lubliner ein schwächlicher Aufgufs des französischen Thee aus dem Gendre de M. „Poirier“ etc., von Lindau zu schweigen. Dumas' Eigenart wird vom Verfasser an der „Kameliendame und der „Fremden", die des witzigeren und gewandteren Sardou zunächst an Dora“, „Fernande“ und „Fedora" gezeigt, hierauf beide mit dem ungleich bedeutenderen Augier hierin stimmen wir dem Verfasser freudig zu verglichen, dessen ehrlicher Zorn und rücksichtslose Konsequenz uns mehr anmutet wie die Gauklerkunststücke der zwei jüngeren und fruchtbareren Dichter. Doch lässt sich Bulthaupt von der vorgefaisten Meinung zu weit hinreifsen, wenn er „Odette" mitleid los zerpflückt. Das beste, was Augier bietet, findet sich bei Björnson und Ibsen. Die Luft, die aus den Fjords herüberweht, ist gesunder als die Pariser Atmosphäre und könnte dem kränkelnden deutschen Drama rote Backen bescheren. Der lebhafte und malerische Stil Bulthaupts fesselt den Leser auch da, wo er ihn nicht überzeugt. Aber noch eine Kleinigkeit der Dramaturg Bulthaupt zieht gegen eine Schwäche der neuesten deutschen Dramatiker zu Felde und verfällt selbst in einen Fehler der deutschen Philister, nämlich Latein zu citieren und falsch: Das Horazische Iliacos intra muros peccatur et extra" giebt er pag. 10 in unmetrischer Verrenkung wieder. Dies wird aber die überwiegende Mehrzahl der Leser des interessanten Büchleins nicht merken. Joseph Sarrazin.

Premiers exercices de lecture et de récitation par E. Burtin. Berlin, H. Sauvage.

Der Herausgeber hat hier eine Sammlung von Lese- und Memorierstoff für die ersten Leseübungen im Französischen zusammengestellt, welcher unzweifelhaft sich grofsen Beifalls erfreuen wird. Es sind, wie Herr Burtin mit Recht behauptet, ganz einfache, den Anschauungen des kindlichen Gemütes entsprechende Gespräche, Erzählungen, Fabeln, Märchen, Rätsel, Spiele und Gedichte. Die Quellen, aus denen er geschöpft hat, sind die in Frankreich anerkannt besten Lesebücher für das jugendliche Alter, das vortreffliche Marellesche Werk „Le petit Monde" und die ausgezeichnete Arbeit von Kuhff: Les enfantines du bon Pays de France." Man fühlt sich bei der Lektüre dieser kurzen, lieblichen Stücke wahrhaft erfrischt und angeheimelt, und jeder Leser wird gern zugeben, dafs sich Inhalt uud Ausdruck dem Gedächtnisse leicht und sicher einprägen werden. Recht zweckmäfsig erscheint es, dafs den einzelnen Stücken die nötigen Vokabeln beigegeben sind und die Zahl der letzteren nach und nach immer geringer wird. Das hübsche Büchlein empfiehlt sich nicht nur zum Gebrauche beim Privatunterrichte, sondern es wird sich auch in einer Klasse mit grofsem Nutzen verwenden lassen.

S. de Chiara, La „Pietra" di Dante e la „Donna gentile". Caserta 1888. pp. 33. Edizione di 150 esemplari fuori

commercio.

Unter den Kanzonen des Dante fallen vier in der Weise auf, dafs sie durchaus von einer wirklichen heftigen Liebe herzustammen, einer allegorisch-philosophischen Deutung sich zu widersetzen scheinen und das Wort Stein", pietra, in hervorstechender Weise wiederholt enthalten. Nach diesem letzten Abzeichen nannte dieselben Imbriani canzoni pietrose; es sind diese, welche anfangen: Così nel mio parlar voglio esser aspro; Amor, tu vedi ben che questa donna; I' son venuto al punto della ruota; Al poco giorno ed al gran cerchio d'ombra. Auch insofern scheinen alle vier zusammenzugehören, als in allen immer auf ein und dieselbe Frau hingedeutet zu werden scheint. In dem immer wieder angebrachten pietra, meinte Carducci, dürfte man wohl, wie in dem selvaggia des Cino, in dem lauro des Petrarca, eine Hindeutung auf den Namen eben jener Frau vermuten. So erkannte Ant. Maria Amadi hier eine Pietra Scrovegni aus Padua, Imbriani eine Pietra di Donato di Brunaccio, die Schwägerin Dantes.

Diese canzoni pietrose verfafste Dante vor seiner Verbannung, wie Carducci und Imbriani bemerkten, da sich in ihnen keine Anspielung auf dieselbe finde, welche nicht unterblieben sein würde, schon um sich der Geliebten anziehend zu machen. Sie würden wohl, meint unser Verfasser, im Sommer gedichtet sein, da Sehnsucht nach Schatten und Beschreibung des Sommers vorkomme.

Quand' ella ha in testa una ghirlanda d'erba,
Trae dalla mente nostra ogni altra donna,
Perchè si mischia il crespo giallo e il verde
Si bel, che Amor vi viene a stare all' ombra.

Der Dichter, meint ferner unser Verfasser, scheine diese seine Liebe sehr geheim zu halten: gerade wie jene mit der Donna gentile Vita nuova 34 bis 40. Da nun diese letztere, etwa ein Jahr nach Beatrices Abscheiden, auf dieselbe Zeit als jene fallen müfste, so liege es nahe, beide Fälle als einen zu setzen, zumal noch vieles hierzu stimmen dürfte.

Der Gedanke mehrerer, dafs die Donna gentile die nachmalige Frau Dantes sei, scheint dem Verf. verkehrt: wie hätte Dante diese Liebe vilissimo und malvagio nennen können? Alles von der Donna gentile Gewufste, im Sommer, Verheimlichung, sie empfindet Mitleid, keine Liebe, pafst auf die Frau der Canzoni pietrose. Beatrice im Purgatorio wirft dem Dante eine pargoletta vor, welches auffällig stimmt zu der Zeile aus Se in pargoletta fia per core un mario.

den Pietrose:

Wenn nun aber gar Beatrice dort Purg. 33, 73 fortfahrend auch noch die Pietra bitter anspielend vorbringt,

Ma perchè io veggio te nello intelletto

Fatto di PIETRA ed in PETRATO tinto
Si che t'abbaglia il lume del mio detto,

so kann es schwer deutlicheres geben. Und doch giebt es noch mehr. In einer Pietrosa heifst es:

Dagli occhi tuoi mi vien la dolce luce,

Che mi fa non caler d'ogni altra donna.

Und Beatrice sagt, Purg. 30, 135: „Ich habe ihn zurükgerufen, er hat sich nichts daraus gemacht," Lo rivocai: sì poco a lui ne calse.

Warum finden sich nun die Pietrose, wenn sie doch auf die Donna gentile der Vita nuova gehen, nicht in der Vita nuova? Witte hat eine Lücke in derselben nach Kap. 40 gezeigt, und dort sind sie von dem Dichter später, gegen 1300, herausgenommen, weil er sich nicht ihrer schämen wollte und das Werk, die Vita nuova, doch halten wollte.

Will man nun, meint der Verfasser abschliefsend, dafs diese Donna gentile und zugleich die Frau der Pietrose die Filosofia des Convito und die Matelda der Commedia sei, so gefalle es ihm, wenn man nur nicht vergesse, dafs die wirkliche heftig geliebte Frau das erste ursprüngliche sei.

Stanislao de Chiara, der Calabrier aus Cosenza, seit kurzem in Caserta bei Neapel ansässig, dessen Gedichte Fumo“ wir neulich zu behandeln und zu bewundern Gelegenheit hatten, giebt hiermit einen schönen, ich glaube wohl, dauernden Beitrag zum Verständnis von Dante, seinem Leben und seinen Werken.

Friedenau.

H. Buchholtz.

Zeitschrift für deutsche Sprache, herausgegeben von Professor Dr. Daniel Sanders. Erstes und zweites Heft. Hamburg, J. F. Richter, 1887.

Der unermüdlich thätige Herausgeber dieser neuen Zeitschrift beabsichtigt, in derselben von der reichen Fülle des Stoffes, die sich bei seinen Studien ihm ergab und in seinen wissenschaftlichen Werken keine Verwendung hatte finden können, den besten Gebrauch zu machen, indem er das, was für die deutsche Lesewelt von besonderem Werte ist, in derselben veröffentlicht. Hier ist ihm nun Gelegenheit geboten, auf zahlreiche Fragen über sprachliche Gegenstände, die ihm fortwährend von allen Seiten entgegenkommen und nicht blofs für die wifs begierigen Fragesteller anziehend sind, Belehrung zu geben; denn es kommt ihm darauf an, dem weiten Kreise der Gebildeten zu dienen, die sich gut, gewandt, richtig deutsch auszudrücken und die Gründe, warum sie so sprechen müssen, zu erkennen wünschen. Gewifs, ein höchst lobenswertes Streben, und wie will der Verf. diese Aufgabe lösen? Nicht durch nackte Aufstellung von

Regeln etwa, sondern auf eine erfrischende Weise, durch Anknüpfung an bestimmte Stücke aus guten Schriftstellern, dadurch gewinnt die einzelne Bemerkung einen sicheren Halt, an sie schliefsen sich Beispiele und Belege von anderwärts, an denen der Verf. bei der Fülle des Stoffes, über den er zu gebieten hat, nicht Mangel leiden wird. Dieser Reiz der Abwechselung mufs fesseln, und wir finden uns in der Erwartung nicht getäuscht, denn die Zeitschrift wird eröffnet durch die Besprechung des „Sammlers" von Goethe. Von diesem sind in den dem Ref. vorliegenden zwei ersten Heften der Zeitschrift nur die Paragraphen 1 bis 5 des ersten Briefes abgedruckt, aber die Erläuterungen und Bemerkungen dazu nehmen zwanzig Seiten engen Druckes ein; Sinn und Gedankenzusammenhang wird erklärt, hauptsächlich aber machen sprachliche Bemerkungen den Inhalt aus, scheinbar abschweifend, aber nur scheinbar, denn der Verf. will eben über Punkte, die sich dem denkenden Leser leicht aufdrängen, belehren, nirgends langweilend; und hierbei ist auf eine Eigentümlichkeit aufmerksam zu machen: der Verf. hat bei dem Abdruck der Musterstücke die etwa darin vorkommenden Fremdwörter sofort durch deutsche ersetzt, erst in den Anmerkungen angegeben, für welche Fremdwörter die deutschen Stellvertreter eingetreten sind, und in der That, man fühlt beim Lesen gar nicht, dafs etwa das deutsche Wort das fremde nicht vollständig decke. Auf den grofsen Reichtum sprachlicher Belehrungen bei diesem Lesestück kann nur kurz hingewiesen werden, die scheinbaren Tautologien in Anfang von Lücke und Leere, das scheinbar überflüssige wieder bei erinnert, die sinnverwandten Ausdrücke empfinden“ und fühlen", der Unterschied von „überein“ und „zusammen“ bei Zeitwörtern, binden und befestigen" u. s. w. werden besprochen. Man hat nur den einen Wunsch, dafs die einzelnen Aufsätze in gröfserer Vollständigkeit in einem oder zwei Heften könnten gegeben werden, denn eben dieser Anfangsaufsatz wird sich wohl noch eine Reihe von Heften hindurch fortziehen. Sehr anziehend ist auch der Aufsatz: Spracheigentümlichkeiten bei Lessing", der die bekannte Stelle in Minna von Barnhelm II, 2, wo Schuldner" statt Gläubiger", im Nathan I, 2: viele zwanzig Jahr“, Emilia Galotti III: die Gnade haben statt das Glück, als sächsischlausitzischen Sprachgebrauch nachweist. Ferner die Bemerkungen zu Keller-Hauffs deutschem Antibarbarus“, von G. Hauff selbt die entschiedene Antwort auf des Kanzlers Rümelin übertriebene und unberechtigte Bevorzugung der Fremdwörter, und eine grofse Anzahl einzelner Besprechungen sprachlicher Sünden oder Unbesonnenheiten, auf die beim Schreiben und Sprechen nicht genügend geachtet wird. Aber solche grammatische und stilistische Anmerkungen führen auch weiter zum Eingehen auf dieses oder jenes Schriftwerk, wohin die kurze, aber völlig erschöpfende Behandlung des Sängers von Goethe gehört, die wie aus dem Unterrichte hervorgegangen zu sein scheint. Nach alle dem ist für die Zeitschrift ein glücklicher Fortgang nicht blofs zu wünschen, sondern auch zu hoffen.

Entgegnung.

Herr Anton Nagele hat im 79. Bande dieser Zeitschrift die zweite Auflage meines Buches Einleitung in die slavische Litteraturgeschichte" in recht ausführlicher, aber nichts weniger als gründlicher, vielmehr in höchst eigentümlicher, um es kurz zu sagen, in unreeller Weise besprochen. Dieser Umstand, sowie die Erwägung, dafs die wenigsten Leser dieser Zeitschrift Herrn Nageles Ausführungen an der Hand meines Buches nachprüfend zu beurteilen in der Lage sein dürften, und demnach von

dem Stande der Dinge eine verkehrte Anschauung gewinnen müssen, veranlassen mich und legen mir unter einem als Autor des durch jenen Vorgang in eine falsche Beleuchtung gerückten Buches die Pflicht auf, zur Klarlegung des ganzen Sachverhaltes das Wort zu ergreifen.

Zunächst sei konstatiert, dafs der Herr Recensent keineswegs als Sachkkundiger, als kompetenter Richter, vielmehr als Dilettant in des Wortes schlimmster Bedeutung seiner Aufgabe sich entledigte. Die leidige Sucht, überall mitsprechen zu wollen und mit seinem Urteile unbescheiden sich vorzudrängen, ohne auch nur entfernt das nötige wissenschaftliche Rüstzeug dazu zu besitzen, tritt bei der in Rede stehenden Recension überall, nirgends aber in so drastischer Weise hervor, als wo Herr Nagele sich den Anschein giebt, meine Ausführungen zu ergänzen oder ihnen thatsächliche Bedenken entgegenzustellen. Um diese handelt es sich hier in erster Linie, weil damit sein ganzes Raisonnement steht und fällt, denn was er sonst vorzubringen für gut findet, sind nichtssagende subjektive Exklamationen, unbewiesen hingestellte Behauptungen, naive Nergeleien, journalistische Trivialitäten, aufdringliche_nationale Einseitigkeiten und Schrullen und was dergleichen mehr ist. Darauf irgend einzugehen, verlohnt sich der Mühe wahrlich nicht, dagegen ist es unbedingt notwendig, auf die scheinbaren Ergänzungen und die sachlichen Einwendungen zu reagieren und dieselben, zumal auf ihre Provenienz und Stichhaltigkeit, einer näheren Prüfung zu unterziehen.

Das eigentlich Meritorische der Beurteilung nun setzt sich aus zwei Elementen zusammen: aus Ausführungen, von denen der Leser, nach Art wie sie vorgebracht werden, annehmen mufs, sie seien im Buche nicht vorhanden, und aus Darlegungen, die als Antithesen zu dem in meiner Schrift Angeführten zu nehmen sind. Da es in dem einen wie in dem anderen Falle nicht etwa auf rein Subjektives, vielmehr so gut wie ausschliesslich auf Quellen und Litteratur abgesehen ist, setzt dies notwendig und naturgemäfs voraus, dafs der Herr Rec. wieder und wieder auf Dinge aufmerksam zu machen in der angenehmen Lage war, die mir völlig entgangen sind, und sicherlich wird der uneingeweihte Leser aus der Lektüre der Recension keinen anderen Eindruck, als diesen gewonnen und über mein Buch, das ja an einem so grofsen Übel krankt, kein besonders günstiges Urteil gefällt haben. Nun, um die in Frage kommenden Quellen, die Litteratur und damit Zusammenhängendes hat es bei meinem Herrn Rec. ein ganz eigenes Bewandtnis, so eigen, dafs es den Satz, es gebe nichts Neues unter der Sonne, schlagend widerlegt. Dafs man fremdes Gut für sein eigenes ausgiebt, kommt häufig vor und wird vorkommen, solange es unehrliche Menschen geben wird, dafs man aber dieses Fremde nicht nur als Eigenes zu Markte bringt, sondern es überdies gegenüber demjenigen, dem man es ohne Umstände entwendet hat, als Eigenes vorzugaukeln und gegen ihn auszubeuten nicht zurückschreckt, das ist ein Unikum und verdiente, sofern es nicht lediglich ein pathologisches Interesse besäfse, patentiert zu werden. Um es kurz zu sagen, alles was Herr Nagele in den beiden obenerwähnten Richtungen in merito vorbringt, ist von A bis Z dem Buche nachgeschrieben, welches er einer so seltsam originellen Beurteilung zu unterziehen für gut fand. Da kann ich denn nur mit Vergil ausrufen: hos ego versiculos feci, tulit alter honores. Nirgends ein neuer Quellenbeitrag oder ein eigener Gedanke, aber im Zusammenhange auf Schritt und Tritt eine solche Drapierung und Wendung des Vorgebrachten, dafs der Leser über die Dupierung spielend hinweggetäuscht wird. Da wird im pathetischen Tone dociert, aus allerlei Quellenwerken - in einer Weise, als ob man sie zur Hand gehabt und selbst auf selbe verfallen wäre fleifsig citiert, mit Thesen und Namen aller Art aufgewartet und geprunkt, nur um sich einen hochgelehrten Anstrich zu geben und zu zeigen, wie gründlich man in allen diesen Dingen bewandert ist, wie

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