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lières. In den „Esprits" wie in den anderen Lustspielen Lariveys fehlt auch eine geschickte und logisch begründete Scenenverknüpfung, und wir begegnen hier derselben Erscheinung, die auch in den Tragödien dieses Zeitraumes eine Folge der mangelhaften Begabung und des geringen dramatischen Verständnisses der Dichter ist. Larivey, gleich wie Jodelle und Garnier, der gröfste Tragödiendichter des 16. Jahrhunderts, verstehen es nur sehr schlecht, die einzelnen Scenen so zu verbinden, dafs die eine die notwendige Folge der vorhergehenden ist, dafs die neu auftretenden Personen nicht unmotiviert in die Handlung eingreifen, sondern dafs die Zuschauer schon genügend von ihrem Auftreten in Kenntnis gesetzt worden sind. Dies ist in den Molièreschen Lustspielen fast durchweg der Fall, wie jeder bei aufmerksamer prüfender Lektüre leicht finden kann.

Aber nicht nur in den Ideen, sondern auch in den Situationen gleichen sich Lariveys und Molières Lustspiel. Um diese Thatsache näher zu beleuchten, mag hier nur einiges hervorgehoben werden.

Die drollige Ringscene bei Gelegenheit der Geisterbeschwörung findet sich wieder bei Molière im dritten Akte, in der zwölften Scene. Nur hat Molière das Übertriebene und Unnatürliche in der Lariveyschen Darstellung, wobei auf des alten Geizhalses Dummheit und Furcht doch ein wenig zu sehr gerechnet wird, vermieden und eine äusserst geschickte und wirkungsvolle Situation geschaffen dadurch, dafs er den Sohn Cléante dem Vater einen zwar schadenfrohen, aber ganz köstlichen Streich spielen läfst.

Eine andere Scene, die verzweifelte Lage Séverins nach der grauenvollen Entdeckung des Diebstahls (Espr. III, 6), hat Molière (IV, 7) fast wörtlich aufgenommen. Er übertreibt nur noch ein wenig mehr als Larivey und man kann sich eines Lachschauers nicht erwehren, wenn man den alten Harpagon sich selbst als den vermeintlichen Dieb festnehmen sieht, wenn man ihn einmal über das andere ich bin tot, ich bin schon begraben!" ausrufen hört.

Auch die Scene zwischen Harpagon und der Kupplerin Frosine (II, 6) findet ein Analogon bei Larivey (I, 3), wo auch ein Kuppler Rufin im Dialog mit Urbain eingeführt wird. Die Darstellung ist jedoch bei Molière weit feiner, geschickter, interessan

ter und komischer. Rufin spricht gleich von vornherein von einer guten und anständigen Belohnung für seine Kupplerdienste, er verlangt zehn Francs und betont nur in plumper und offenkundiger Weise diese pekuniäre Entschädigung für seine Mühen. Frosine bei Molière hofft auch stark auf eine Belohnung von Harpagon, wenn sie ihm die Marianne zur Gattin verschafft, thut aber fein und rücksichtsvoll, berührt zunächst aus Vorsicht und Schlauheit den heiklen Geldpunkt gar nicht und kommt erst ganz am Schlufs darauf zu sprechen. Als aber Harpagon Ausflüchte macht und mit leeren, allerhand schönen Versprechungen, ohne den Geldbeutel zu öffnen, von der Bühne geht, macht das ränkesüchtige, scheinheilige Weib in einer wahren Flut von Schimpf- und Lästerworten ihrem vorher nur mit gröfster Anstrengung zurückgehaltenen Ingrimme Luft. Dieser gewaltige, schreiende Gegensatz in Frosines Benehmen während und nach der Besprechung kommt ganz trefflich zur Geltung, wirkt überraschend komisch und zwingt den Zuschauer zu einem schallenden Gelächter.

Einige Scenen sind aber nun auch im Lariveyschen Lustspiele schöner und psychologisch feiner durchgeführt als bei Molière, und er hätte sie sich besser zu nutze machen sollen. Hierzu gehört besonders das im zweiten Akte in der dritten Scene gegebene dramatische Gemälde. Dort hat Séverin nach langem Suchen und ängstlichem Umherspähen endlich ein kleines Loch entdeckt, worin er seine mit Gold gefüllte Börse verstecken will. Begeistert ruft er aus: Oh, petit trou, combien je te suis redevable! Hélas, ma bourse, hélas, mon âme! hélas, toute mon espérance! Ne te laisse pas trouver, je te prie! Und doch hat er immer wieder Bedenken und sieht in jedem Steine einen Späher, so dafs er sich beim Vergraben des Schatzes zu jener absonderlich komischen, phantastischen Äufserung hinreifsen läfst: Hé, mon petit trou, mon mignon, je me recommande à toi, au nom de Dieu et de St. Antoine de Padoue: In manus tuas, domine, commendo spiritum meum! Man vergleiche hierzu den „Avare“ (I, 4), und es lässt sich in der Situation eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Erwähnten konstatieren, nur ist die Darstellung der Seelenstimmung Harpagons, der seine Kassette soeben im Garten vergraben hat und, sobald nur ein Hund bellt, einen Dieb wittert, weit weniger gelungen und lange nicht so effektvoll als bei Larivey.

Diese Einzelheiten können schon genügend beweisen, dafs Molière bei Abfassung seines „Avare" die Lariveysche Komödie, die ihm leichter zugänglich war und bequemer sein mufste als das betreffende italienische Stück, vor Augen gehabt und benutzt hat. Im ganzen ist Molières Stück weit kunstgerechter, einheitlicher und interessanter als das Lariveys, und doch kann man es nicht zu den gröfsten Werken des Dichters rechnen, denn dazu ist es zu schwach in der Komposition und zu arm an dramatischer Handlung. Die Gröfse desselben liegt in der Tendenz, zu zeigen, auf welche Abwege der Geiz den Menschen führen kann, ferner in der Charakterschilderung Harpagons, sowie auch in der Erfindung äusserst komischer und drolliger Scenen, die durch einen witzigen, feinen, geistreichen und lebendigen Dialog das Interesse und die Aufmerksamkeit des Publikums erwecken und dauernd fesseln. Die Sprache im Avare" ähnelt zwar der Lariveys, ist aber doch weit formgerechter, abgerundeter, kräftiger und markiger, zuweilen ein wenig derb, aber doch nicht gemein und trivial, was sich auch wenig mit einer guten Komödie verträgt und mehr auf das Gebiet der gewöhnlichen Farce und Posse gehört. Wenn nun auch Molière mit Rücksicht auf die Komposition und den Aufbau der Komödie nicht eben viel direkt von Larivey lernen konnte, so ist doch das Studium der Lustspiele dieses Mannes nicht ohne Wert für den Meister der französischen Komödie geblieben, insofern als er manche gute Idee vorfand, die nur geschickter und eingehender weiter zu führen war, und insofern als Molière Gelegenheit geboten wurde, zu zeigen, wie sich auf einem einfachen Grunde eine grofse und kunstgerechte Komödie aufbauen läfst und wie weit seine Vorgänger noch davon entfernt waren. So viel aber steht sicher fest, dafs Molière von den Italienern und speciell von Larivey viel mehr lernen konnte und in der That auch lernte als von jenen uninteressanten Komödienverfassern des 16. Jahrhunderts, die im Geiste Jodelles Lustspiele in Versen verfafsten, Stücke, in denen von wirklichem dramatischem Leben, sowie von Komposition und Charakterzeichnung so gut wie gar nicht die Rede sein kann.

Molière-Übersetzungen des 17. Jahrhunderts.

Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Dramas.

Von

Johannes Bolte.

Das deutsche Theater war während des 17. Jahrhunderts den verschiedensten Einflüssen der Nachbarländer unterworfen. Auf die begierig angestaunten Schauertragödien und Gesangspossen der seit 1586 erscheinenden englischen Berufsschauspieler 1 folgten die pomphaften Opern Italiens, dessen Commedia dell' arte schon längst an den gröfseren Fürstenhöfen Süddeutschlands, in Innsbruck, München und Wien, bewundert und gepflegt worden war. 2 Daneben weckten niederländische Komödianten, 3 welche zuerst in die Fufsstapfen der Engländer getreten sein mögen, in Norddeutschland das Interesse für die Erzeugnisse der stammverwandten holländischen, aber auch der spanischen Bühnen

1 Goedeke, Grundrifs zur Geschichte der deutschen Dichtung. 2. Aufl. 524-545.

2 K. Trautmann, Italienische Schauspieler am bayerischen Hofe. Jahrbuch für Münchener Geschichte 1, 193-312.

3 Vgl. Anzeiger für deutsches Altertum 13, 112 f. Der 1666 von Rist erwähnte Prinzipal Jean Baptista wurde am 10. Juli desselben Jahres von der Königin Eleonore von Schweden in ihren Dienst genommen und erhielt 1500 Thaler Silbermünze jährlich (Dahlgren, Anteckningar om Stockholms Theatrar 1866, S. 7); wahrscheinlich ist er identisch mit dem Jean Baptista von Fornenburgk, der 1674 von dem holsteinischen Herzoge Johann Albrecht gegen die Komödianten Arnold Emmerich und Hermann König klagbar wurde, weil sie in Tönning und Friedrichstadt seine Bande verlassen hatten (Akten des Schleswiger Staatsarchivs). 1653 traten holländische Schauspieler in Stockholm, 1702 in Berlin auf; und noch 1708 lobt Christian Weise ihr Spiel, weil alles mit der gemeinen Expression so wohl übereinkommt“. — Vgl. die Nachträge.

Archiv f. n. Sprachen. LXXXII.

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dichter, während französische Schauspielertruppen mit allgemeinerem Erfolge und wachsendem Ansehen dem deutschen Publikum ihre eigene aufblühende dramatische Litteratur vorführten. So entstand eine buntscheckige Mannigfaltigkeit, ein unsicheres und unselbständiges Tasten nach fremden Vorbildern, das wunderlich absticht von der geschlossenen Entwickelung des 16. Jahrhunderts, welche durch die naiv-gläubige Verbildlichung der biblischen Historien und die etwas schulmeisterliche Nachahmung des Terenz beherrscht wurde. Wenn mit dem professionsmäfsigen Betriebe der Schauspielkunst der Zusammenhang mit dem allgemeinen Volksleben verloren ging, so brachte doch die in einer Zeit politischer Ohnmacht so natürliche Anlehnung an die ausländischen Muster auch manchen Gewinn. Eine kurze Zeit lang schien es," sagt Scherer, als wenn die Veredelung der deutschen Bühne schon im 17. Jahrhundert aus Frankreich kommen, als wenn die herrliche Erscheinung Molières seinen deutschen Standesgenossen höhere Ziele zeigen sollte." In der That, gegenüber dem bedrohlichen Überwuchern der Oper und gegenüber der gespreizten Unnatur der Hauptaktionen mufste durch das Studium Molières die Beobachtung auf das wirkliche Leben gelenkt, die Kunst der Charakteristik herangebildet werden.

Zwei kleine Funde auf diesem Gebiete geben uns den Anlafs, einen Blick auf die Geschichte der Molièreschen Lustspiele in Deutschland bis zum Jahre 1700 zu werfen.

Zuerst brachten wohl die nach dem Dreifsigjährigen Kriege häufiger erscheinenden französischen Schauspieler dieselben nach Deutschland. Genaueres lässt sich leider bei den dürftigen Nachrichten, die wir darüber besitzen, nicht sagen; denn erst seitdem einige Fürsten eine stehende französische Hofbühne eingerichtet haben (in Braunschweig und Hannover um 1665, in München 1671), erfahren wir einiges über die dargestellten Stücke. Ich verweise auf die lehrreichen und zuverlässigen Zusammenstellungen von K. Trautmann

und trage nur einige Kleinigkeiten nach.

1 Archiv für Litteraturgeschichte 15, 102-108, 218-221. Wertvolle Aufschlüsse dürfen wir von einer demnächst im zweiten Bande des Jahrbuches für Münchener Geschichte [S. 185-334] erscheinenden Arbeit Trautmanns über französische Litteratur und französisches Theater am Münchener Hofe bis 1726 erwarten.

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