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der Übersetzer von 1695 über seinen Vorgänger. Andere Ausgaben von 1700 und 1710 sind wahrscheinlich nur Titelauflagen.

Während die beiden eben besprochenen Übersetzungsversuche von 1670 und 1694 schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Litterarhistoriker auf sich gezogen haben, sollen uns nun zwei deutsche Bearbeitungen einer Molièreschen Komödie beschäftigen, welche jenen bisher entgangen sind. Die erste ist eine nach J. Mathesons Angabe1 1679 von dem Hamburger Kapellmeister Johann Wolfgang Franck komponierte und in Hamburg gespielte Oper, betitelt „DON PEDRO | oder | Die | Abgestraffte Eyffersucht in einem | Singe-Spiel | vorgestellt“. 43 Bogen 4o o. O. und J. Das Textbuch, dessen Verfasser nicht angegeben wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine freie Übertragung von Molières zwölf Jahre zuvor entstandener Komödie: Le Sicilien ou l'amour peintre. Freilich bemerkt der Musikhistoriker E. O. Lindner, dasselbe sei „nach einem italienischen komischen Singspiele" gemacht, und wir werden weiter unten noch auf ein älteres Zeugnis stofsen, nach welchem Molière wirklich eine italienische Posse benutzt haben soll. 3 Trotzdem bleibt Lindners Behauptung, für welche er keinen Beleg anführt, sehr zweifelhaft. Hätten wirklich Molière und der Hamburger Dichter nach demselben italienischen Originale gearbeitet, so müfste Molière dasselbe geradezu sklavisch abgeschrieben haben. Nun haben aber weder Moland, der das Verhältnis des französischen Dichters zum italienischen Theater untersucht hat, noch Pougin 5

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Der musikalische Patriot, S. 178 (Hamburg 1728).

Exemplare in Berlin und Hamburg. Vgl. Walther, Musikalisches Lexikon 1732, S. 258. Schröder, Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller 2, 351 (1854). Allgem. deutsche Biographie 7, 212. E. O. Lindner, Die erste stehende deutsche Oper 1855, S. 11. 169. Chrysander, Allgem. musikalische Zeitung 12, 421 (1877). Vgl. die Nachträge.

3 Merkwürdigerweise behauptet auch der alte Übersetzer von Shakespeares Taming of the Shrew (1672), sein Stück sei von italienischem Ursprunge". Kunst über alle Künste, hrsgb. v. R. Köhler 1864, S. VIII.

4 Molière et la comédie italienne. Paris 1867.

5 Molière et l'opéra comique Le Sicilien ou l'amour peintre. Paris 1882. Vgl. auch Œuvres de Molière, éd. par E. Despois et P. Mesnard 6, 216 f. (1881). Einen kleinen Beitrag zur Frage nach der Quelle des Stückes will ich nicht unterdrücken. Die Novelle bei Gabr. Chappuis,

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in seiner Monographie über unser Stück, noch sonst ein spüreifriger Molièrist eine derartige Vorlage ausfindig gemacht; hingegen hat der gründliche Chrysander, ohne Molières,,Sicilien" zu kennen, sogleich aus dem Tone und verschiedenen Einzelheiten der Hamburger Oper auf eine französische Quelle geschlossen. Dafs auch nicht etwa eine italienische Übersetzung die Vermittlerrolle zwischen dem französischen und dem deutschen Stücke gespielt hat, lehrt eine genauere Vergleichung.

Eine zweite, um zehn Jahre jüngere Übersetzung desselben Lustspiels fiel mir bei einer Musterung der Handschriften auf der Berliner Königlichen Bibliothek auf. Sie ist erst in neuerer Zeit aus dem Magdeburger Provinzialarchive an ihren jetzigen Aufbewahrungsort gelangt und trägt neben der neuen Signatur ,,Ms. Germ. Quart 980" folgenden Titel: „Der | Verliebte Mahler. aus dem Französischen | übersetzt". 1 Bl. + 46 S. 4o. Über den Verfasser giebt eine Bemerkung auf S. 46 Aufschlufs: „Mersebourg le 15. de Juin 1689 G C Schmidt". Näheres von diesem Schmidt zu erfahren habe ich mich vergeblich bemüht. Dafs nicht an einen Schulmann und eine Schulkomödie zu denken ist, ergiebt sich aus der Geschichte des Domgymnasiums von Merseburg von F. Witte. Eher darf man in dem Stücke ein zur Ergötzung des Herzogs Christian I. von Sachsen-Merseburg 2 und seines Hofes bestimmtes Festspiel vermuten, wie sie im benachbarten Weifsenfels um dieselbe Zeit der spätere Hamburger 'Pastor Johann Riemer († 1714) abfafste. Mehrere seiner öden Spektakelstücke wurden sogar in Merseburg gedruckt und vielleicht auch bei Hofe aufgeführt: 1678 die Tragikomödia „Der

Facétieuses journées 1584, 8, 1, auf welche von den französischen Erklärern hingewiesen wird, stammt ursprünglich aus Matteo Bandellos Novelle 3, 23 (in der Londoner Ausgabe von 1791, 7, 292-299), übersetzt in BelleForests Histoires tragiques Nr. 33 (Lyon 1590. 2,699–738). Hier ist die Rede von einem gewissen Galeazzo della Valle aus Vicenza, der in Venedig seine Geliebte verliert, weil er einen Maler zu ihr schickt, um sie porträtieren zu lassen; doch tötet er schliesslich seinen glücklichen Nebenbuhler. Man sieht, es ist nur eine entfernte Ähnlichkeit der Motive vorhanden.

1 Zwei Programme, Merseburg 1875 und 1876. Vgl. auch Zarncke, Chr. Reuter, Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 9, 462.

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1650-1691. Vgl. J. Vulpius, Megalurgia Martisburgica. Quedlinburg 1700. S. 119 und 229.

tyrannische Grofsvater oder der glückliche Bastard" und 1685 eine Dramatisierung der Sage von Eginhard und Emma, „Amor der Tyranne mit seiner lächerlichen Reuterey“. 2 Wahrscheinlich stammt die Berliner Handschrift aus dem Besitze einer Schauspielertruppe, welche 1689 Merseburg besuchte. Solche Banden wurden damals vielfach von den kleineren Fürstenhöfen auf kürzere oder längere Zeit unterhalten. Im Januar 1695 spielten in Leipzig die merseburgischen Komödianten unter dem Prinzipal Herman Heinrich (Reinhard?) Richter, der 1685--1691 der Veltenschen Truppe angehört hatte; 3 und am 23. September desselben Jahres gaben dieselben hochfürstlich sächsisch-merseburgischen Hofkomödianten in Nürnberg Alexanders Liebessieg und das verliebte Nachtgespenste. In München spielte 1699 der herzoglich Mörsburgische Hofkomödiant Balthasar Prunbach zwölfmal auf dem Rathause und erlegte für diese Vergünstigung am 22. August 1699 27 fl., sowie 6 fl. 6 B. 9 d. für das Aufschlagen der Bühne. Auch einige in Merseburg gedruckte Operntexte, deren Zahl freilich nicht an die aus Weifsenfels und Halle erhaltenen heranreicht, weisen auf die Theaterliebe des Hofes: 1672 Die erfreute Ceres. fol. 1681 Götter-Freude. fol. 1702 Die verachtete Eitelkeit der Welt. 8°.

Beide Bearbeitungen des Sicilien stehen weder untereinander noch mit der Nürnberger Übersetzung von 1694 in Zusammenhang;

Exemplar in Stuttgart. Eine Handschrift ohne den Namen des Verfassers in Dresden: M 15. 1679 führte der Görlitzer Rektor Chr. Funcke das Stück mit seinen Schülern auf. Vgl. Gottsched, Nötiger Vorrat 1, 239 und Goedeke, Grundrifs 2 3, 226. Wie mir K. Trautmann freundlichst mitteilt, wurde auch in Augsburg im Mai 1698 „Der Glickliche bastardt oder der Türannische Grofsvatter" von der Kaufbeurer Agentengesellschaft (Arch. f. Litt.-Gesch. 14, 240) dargestellt, ebenso noch 1749 in Kaufbeuren. Exemplar in Berlin. Im Nürnberger Repertoire von 1710, Nr. 132 (Jahrb. d. Shakespearegesellschaft 19, 152).

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3 Zarncke, Chr. Reuter, a. a. O. 9, 465. Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters zu Dresden 1, 272. 311.

4 Will, Historisch - diplomatisches Magazin 1, 214 (Nürnberg 1781). Über eine Merseburger Aufführung 1705 s. oben S. 87.

Gütige Mitteilung Trautmanns aus der Münchener Stadtkammer

rechnung [Jahrbuch f. Münchener Geschichte 2, 242].

"Gottsched, Nötiger Vorrat 1, 232. 244. 273. Über Weifsenfelser Opern vgl. Schletterer, Das deutsche Singspiel, S. 221 (1863).

eine Vergleichung beider mit dem Originale fällt entschieden zu Gunsten des Hamburger Singspiels aus. Während jenes noch auf der Grenzscheide zwischen Posse und Operette steht und dem Gesange nur in einzelnen Scenen und Zwischensätzen Spielraum gewährt, hat Franck mit bewusster Konsequenz einen Schritt weiter gethan; durchweg ist in seinem Libretto die ungebundene Rede dem Verse und dem Reime gewichen; in geschickter Weise wechseln drei- bis fünffüfsige Iamben in verschiedener Reimbindung miteinander, geeignete Stellen sind als Arien behandelt. Die neunzehn Scenen Molières sind in drei Akte (Sc. 1-5, 6-13, 14—19) gruppiert, und ein Prolog, in welchem Cupido und Mars durch Fama zu friedlichen Beschäftigungen ermahnt werden, dem Ganzen vorangestellt. Der Ausdruck zeigt Gewandtheit und Frische, ohne sich allzu ängstlich an das Original zu halten; was auch bei der Umwandlung von Prosa in Verse das ungeeignetste Verfahren gewesen wäre. Sorgfältig wird die Herübernahme französischer Ausdrücke und Verbindungen vermieden, die komischen Verse in Lingua franca sind ganz fortgefallen. Als Beispiel führe ich eine Stelle aus der fünften Scene an.

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Dagegen ist der Merseburger und der Nürnberger Übersetzung der wörtliche Anschlufs an den französischen Text gemeinsam; nur wo dieser Reime hat, bringen auch sie Verse. Im ganzen aber bewegt sich der Übersetzer von 1689 noch etwas freier als sein Genosse, er teilt die Handlung in zwei Akte und ordnet die neunte Scene etwas anders als der Nürnberger. Beide zeigen Unkenntnis in musikalischen Dingen, da sie Halis

Bemerkungen in der vierten Scene über bécarré und bémol (Dur und Moll) ganz mifsverstehen; C'est du beau bécarré übersetzt Schmidt: „Der vortreffliche Becarre hats gemacht," und der Nürnberger: „Es ist ein schön Beccaré."1 Am besten wird man den Charakter der drei Verdeutschungen durch die Mitteilung eines längeren Stückes kennen lernen. Ich wähle dazu eine Stelle der vierten Scene, welche schon im Originale poetische Form trägt (siehe folgende Seite).

Dals Molières,,Sicilien ou l'amour peintre" überhaupt in Deutschland sehr günstig aufgenommen wurde, ergiebt sich auch aus der S. 87 hervorgehobenen Thatsache, dafs Velten das Stück wiederholt (1680, 1684, 1699) zur Darstellung brachte. Es läge natürlich nahe, ihm auch die Merseburger Übersetzung von 1689 zuzuschreiben, wenn nicht diese Vermutung bis jetzt jeder Spur eines Beweises ermangelte. Auch in Holland entstand um dieselbe Zeit eine Bearbeitung, der ich hier, weil ich sie noch nirgends angeführt finde, einige Worte widmen möchte. Ihr Verfasser ist der am 3. Juli 1681 verstorbene Andries Pels, welcher in der Litteraturgeschichte besonders als Mitbegründer der nach dem Muster italienischer und französischer Akademien eingerichteten Kunstgenossenschaft „Nil volentibus arduum“ zu Amsterdam bekannt ist. Erst nach seinem Tode veröffentlichte sein Freund Pieter Lankeur ein von ihm hinterlassenes Lustspiel:

DE | SCHILDER | DOOR LIEFDE, | BLYSPÉL. | (Kupfer mit der Unterschrift: NIL.VOLENTIBUS. ARDUUM.) | TE AMSTERDAM, | By ALBERT MAGNUS, op de Nieuwen Dyk, | in den Atlas, by den Dam. 1682 | Met Prilegie. | 4 Bl. + 64 S. 8°. Das Privileg ist datiert Amsterdam, 30. März 1682. Exemplare in Berlin und Leiden. 2. Auflage Amsterdam 1716 (Leiden). Vgl. die Nachträge.

1 In der Hamburger Oper heifst es richtig: „Er ist zu frisch der Thon, Singt ihr nur eins das im b-mol aushält." „Der dritte sang recht frisch aus dem stets frohen C." Man vergleiche damit die Charakteristik, welche Matheson 1713 im Neu eröffneten Orchester S. 240. 244 von den einzelnen Tonarten giebt, z. B.: „C dur (Ionicus) hat eine ziemliche rude und freche Eigenschafft, wird aber zu Rejouissancen, und wo man sonst der Freude ihren Lauff läst, nicht ungeschickt sein.“ „C moll ist ein überaus lieblicher, dabey auch trister Tohn, ... [aber es] mögte einer bey seiner Gelindigkeit leicht schläffrich werden." Er führt auch gleichartige Äufserungen älterer Musikschriftsteller an.

Archiv f. n. Sprachen. LXXXII.

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