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gerade an der Ecke von Chamberstreet und Broadway eine männliche Figur auf, die ich alsbald als die eines Europäers erkannte, obschon der Mann sich alle erdenkliche Mühe gegeben zu haben schien, seine ausländische Abstammung zu verbergen. Er war von großer, schlanker Statur, sein dünner, steifer Nacken war mittelst einer schwarzseidenen Halsbinde auf den engsten Raum zusammen geschnürt, und sein Hut, der ihm rückwärts tief ins Genick hinein saß, gab die Hälfte seiner Stirne den Sonnenstralen preis. Sein langer Rock, welchen er, ungeachtet der Hige des Tages, bis an das Kinn zugeknöpft hatte, war vom engsten und kürzesten Schnitt, seine Beinkleider lagen fest an seinen untern Gliedmaßen an, und die Abfäße seiner Stiefel vermehrten seine natürliche Größe um wenigstens einen englischen Zoll. Sein Gang war rasch, mit kurzen Schritten, weder rechts noch links von einer geraden Linie weichend, und sein Kopf, der auf den Rücken zurückgeworfen war, schien den Bewegungen seines Körpers als Steuerruder zu dienen. So weit war sein Aeußeres ganz dem eines gewöhnlichen New - Yorkers analog, nur waren seine Schultern breiter und seine Arme und Beine dicker, als man sie gewöhnlich in den großen Seestädten der Union zu sehen pflegt.

Ich habe nur wenig Europäer gekannt, die das amerikanisch - geschäftige Wesen in Gang und Kleidung glücklich nachzuahmen verstanden, und in diesem Fall erschien mir die Copie so burlesk, daß ich begierig war, das Angesicht eines Mannes zu sehen, dessen Gestalt so sichtbar das Gepräge zweier verschiedener Welten an sich trug. Ich machte daher schnell einige Schritte vorwärts und versuchte, an das Fenster eines Kupferstichladens gelehnt, meinem Helden ins Antlig zu sehen; er bemerkte aber meine Absicht und wendete seinen Kopf auf die entgegengesezte Seite, was mich jedoch nicht hinderte, in ihm

meinen Freund, den Autor, zu erkennen, welcher eine Rolle Schriften in der Hand trug.

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Gerade recht!" rief er, meine Hand ergreifend, ,, wohin gehst du?"

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„Dann geh' ich mit dir; ich habe dir etwas Wichtiges mitzutheilen.“

Ich gehe in den türkischen Divan."

Gerade der Ort, den ich liebeniedlich, bequem und nicht öffentlich; man kann dort eine Stunde zubringen, ohne auf den Berichterstatter eines Zeitungsblattes zu stoßen.'

Es war jest gerade sieben Uhr. Die Sonne war über einer dichten Masse dunkelbrauner Wolken aufgegan, gen, durch welche ihre Strahlen vielfach gebrochen und in den buntesten Schattirungen zulezt wie Rauch an den rothen Backsteinwänden der Häuser hängen blieben. Das Thermometer stand auf 39o im Schatten. — Nach einem kurzen Spaziergang, der aber, wegen der Schwüle des Tages, sehr erschöpfend war, gelangten wir an das Kaffeehaus. — Der Eingang war etwas versteckt, wahrscheinlich deswegen, um nicht leicht von gemeinen Augen entdeckt zu werden, und da das Etablissement im zweiten Stockwerk, die Stiege aber, die dahin führte, eng und finster war, so war leicht einzusehen, daß nur die Eingeweihten ihren Weg dahin finden konnten. Wir gingen die Treppen hinauf, öffneten die Flügelthüren und befanden uns im nächsten Augenblick in einem elegant meublirten Saal, welcher ringsum mit Marmortischen und türkischen Ottomanen (daher der Name) geziert war, und in welchem eine Art Chiaro-oscuro, das durch die halb geöffneten Fenster und die reichen damastnen

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Vorhänge drang, den zahlreichen, an den Wänden hängenden Delgemälden einen gar artigen Effekt verlieh. Wie ich hörte, waren einige derselben von Werth, denn sie galten für,, real originals; "1 mein Freund aber, der in solchen Dingen für einen Kenner galt, zuckte bloß die Achsel und erklärte: er wisse wohl, was es mit ihnen für eine Bewandtniß habe.

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Haben Sie vielleicht die Faktura gesehen?" fragte der Aufwärter bescheiden.

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Das gehört jezt nicht hieher," versezte mein Freund. Ihr thut besser daran, uns Kaffee zu bringen. Wir streckten uns jeder auf eine Ottomane Stühle gab es keine im ganzen Saal, und der Verfasser kam sogleich zur Sache.

„Ich wollte dir mein Tagebuch überreichen," rief er mit einem Seufzer; „es enthält eine Reise durch die vorzüglichsten Seestädte der Union und eine Schilderung meines furzen Aufenthaltes in Washington. “

„Hast du dich doch endlich entschloffen, dasselbe herauszugeben?" fragte ich erstaunt.

,,Das nicht," verseßte er,,, ich bin ein verheiratheter Mann, verwandt mit einer der aristokratischsten Familien der Stadt, mit der Aussicht auf Erbschaft, ich darf nicht mit meinem Glücke spielen.“

,,Ah! ich verstehe: Du willst, daß ich es statt deiner drucken lasse. Das ist mehr, als ich, ohne das Manuscript gesehen zu haben, versprechen kann."

,,Du darfst ja auslassen, was etwa anstößig oder beleidigend seyn könnte."

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„Das nügt nichts," versezte ich. Du weißt ja, daß die Amerikaner es nicht vertragen können, daß man überhaupt von ihnen spricht. Sie sind jezt so zartfühlend, oder wie die Engländer sich auszudrücken pflegen, so 4 Wirkliche Originale.

„, dünnhäutig“ geworden, daß sie nicht einmal Lob_ertragen können."

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Leider weiß ich das," erwiederte mein Freund. „Unsere ersten Bürger gleichen ganz jenen venetianischen Senatoren, die nicht zugeben wollten, daß man die Republik preise, weil, wenn dies einmal zugestanden, Andere auf den Gedanken kommen könnten, sie zu tadeln. Kein Mensch kann voraussagen, wo ein Ding endet, das einmal im Munde des Volkes ist."

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Alles das sollte mich behutsam machen; aber einem Freunde muß man nicht leicht eine Bitte verweigern, und so will ich mich denn für dich zum Märtyrer machen. Was du den Muth zu schreiben hattest, das will ich herauszugeben die Kühnheit haben."

,,Bravo!" schrie mein Freund, indem er mich auf continental-europäische Art umarmte,,, man sieht, daß du noch ein Deutscher bist — und wenn ich je meinen Schwiegervater beerbe ...."

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So wird die Erbschaft gerade hinreichen, die Rechnung der Puhmacherin deiner Frau zu bezahlen. Du kannst das Vermögen deines Schwiegervaters erst nach seinem Tode berechnen. Es gibt bis dahin noch allerlei Bank-Assekuranz, und der Himmel weiß, was für andere Privat und kaufmännische Verbindlichkeiten. Gib mir nur das Manuscript und verlaß dich auf mich.“

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„Du bist wahrhaftig zu großmüthig, "verseßte mein Freund; aber da du dich doch einmal daran wagst, so will ich dir einige Winke geben, die vielleicht nicht ganz

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1 Der englische Ausdruck ist: thin skinned," und ich erinnere mich hiebei an ein von Fenimore Cooper gebrauchtes Gleichniß:,,The English," pflegt er zu sagen, are thinskinned; but we are perfectly raw." (Die Engländer sind dünnhäutig, wir aber, die Amerikaner, ganz und gar roh.)

überflüssig seyn dürften. Was in meinem Tagebuch von meinen Liebschaften steht, mußt du ganz weglassen. Es ist nicht im besten Geschmack ; — dergleichen Dinge sind immer insipid, und wenn je Madam K-pfsch-rß erführe...." So würde sie dir nie vergeben:

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Das eben nicht; aber ich fürchte meinen Schwiegervater und das Publikum. - Außerdem endigten alle meine Liebeshändel, wie dies in Amerika immer der Fall ist, auf eine sehr vernünftige Weise, und würden daher europäischen Lesern wenig Interesse abgewinnen. Das erste Mädchen, das ich liebte, ließ mir durch ihren Bedienten sagen, daß ich der Mühe, ihr zu schreiben, mich überheben könnte, indem sie entschlossen sey, meine Briefe unerbrochen zurückzusenden; die Zweite sagte mir selbst, daß es ihr leid thue, daß ich in sie verliebt sey, weil ihr Papa und ihre Mama die ganze Sache für baare Tollheit hielten. Ich sage dies nicht," sezte sie hinzu, „um Ihnen das Herz schwer zu machen, sondern bloß, um Ihnen unnüße Schritte zu ersparen. Uebrigens wird es mich immer freuen, Sie als Freund um mich zu sehen.“ Und meine dritte Liebschaft endigte ganz legitim in meiner Heirath. Ich halte meine Skizzen des amerikanischen fashionablen Lebens, und überhaupt Alles, was ich von den Grundsägen und von dem Charakter unserer ersten Gesellschaft gesagt, für weit interessanter, nur mußt du den Ton ein wenig herabstimmen, um nicht dem Richter Lynch zu verfallen. Ich würde wahnsinnig, wenn ich dich betheert und befedert erblickte."

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Was meine Schilderungen amerikanischer Staatsmänner und Politiker betrifft, so mußt du dich natürlich

1 ,,I shall always be happy to see you as a friend," ist die gewöhnliche Formel, mit welcher eine amerikanische Schöne einen Freier oder Liebhaber abweist.

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