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und der Bühnendarstellung angeeignet werden. Ist das geschehen, so bedarf es nur weniger Worte, und die entscheidenden Augenblicke des Todes und des Mordes für König, Königin und Laertes folgen wie einzelne Blizes= schläge durch die Nacht mit rascher Gewalt. - Nicht so rasch darf der Tod dem Hamlet nahen, sondern wir sollen ihn auf eine würdigere Weise sterben sehen. Die Wissenschaft des Lebens besaß er nicht, es ward ihm nicht selten zu einem schweren Traum, und er wandte die schönsten Anlagen fast nur an, um Duft und Farbe der Jugend abzustreifen. Jeht aber sehen wir, was wir Långst schon ahneten, daß er zu sterben versteht: denn alles, was er im Gefühl der Todeswunde noch spricht, ist des edelsten und besonnensten Helden würdig. Er trågt dem Horatio auf, ihn und seine Sache den Unbefriedigten zu erklären: ein Wunsch, dessen Würdigkeit nicht bezweifelt werden kann, da hier nicht von einer Einzelangelegenheit, sondern von Verhältnissen die Rede ist, die das gesammte Vaterland in den tiefsten Lebenspuncten berühren.

Horatio verweigert anfangs einen solchen Auftrag zu erfüllen, denn wie ein „,,Römer" will er dem Ge bieter auch im Tode folgen, und diese große Aufwallung ist seiner ruhigen Natur keineswegs unangemessen. Wenn die Erde zu wanken scheint und der Tod so völlig sieg= reich sein Panier aufpflanzt, dann wird auch der Friedlichste aus den Fugen weichen, und in dem dunkel und wüst gewordenen Leben erscheint der legte Augenblick

als der einzig wünschenswerthe. Die treue UnterthanenAnhänglichkeit wird heiße Liebe für den unglücklichen Freund, und der nun wahrhaft frei gewordene Mann will sich nicht übertreffen lassen von römischen Sclaven, die so oft ihren Gebietern freiwillig im Tode folgten. (Vgl. z. B. Tacitus Schilderung vom Ende des Imperators Otho.) Daß aber Horatio jezt sich der Römer erinnert, ist völlig seinem Charakter gemäß: der finnige Mann liebt die Geschichte und schon in der ersten Scene des Drama's nach der Erscheinung des Geistes erzählte er auf eine wirksame Weise von den wunderlichen Begebenheiten kurz vor dem Fall des großen Jus lius Cåsar. Hamlet erinnert ihn mit den rührendsten Worten an feine Pflicht zu leben, und zwar aus Liebe für den Sterbenden, da der bloße kühle. Pflichtgedanke hier nicht ausreichen würde. Nach dieser edlen Anordnung nåhert sich ihm der Tod immer mehr; doch es soll dem Sterbenden noch eine Freude werden. Kriegerischer Hall verkündet die Ankunft des Fortinbras, ihm giebt er sterbend sein Wort der Erwählung zum Thron und dieses begrüßt den Heldenjüngling, obwohl fein Auge ihn noch nicht schaut, als König. Unter den Trümmern einer alten Welt beruhigt ihn die Ankunft des Jünglings, der Muth, Kraft und Besonnenheit genug haben wird, auf diesen Trümmern eine neue und schönere Welt zu erbauen. „Der Rest ist Schweigen." Dieses lehte Wort ist in Hamlets Munde schon ein Zeichen höherer Klarheit; es ist das wahrhafte.,,legte

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Wort", dem keins weiter folgen kann, da für die felige Anschauung, der wir entgegenhoffen, das Wort überhaupt nicht genügend seyn kann, und Schweigen hier die beste Feier ist.

§. 57.

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Hamlet ist seit etwa funfzig Jahren auf der deutschen Bühne einheimisch, und wie auch Beit, Ansicht und Mode gewechselt haben, er ist nie verdrängt worden. Das würde sich freilich bei dem Original ganz von selbst verstehen, denn wo ist überhaupt ein dramatisches Werk, das mit diesem den Kampf bestehen möchte: aber es war nicht der åchte Hamlet, den wir während des achtzehnten Jahrhunderts sahen, er hatte das Schicksal des Goetheschen Adlerjünglings gehabt, dem des Jägers Pfeil die rechte Schwingekraft hinweggeschnitten hatte; ja wir dürfen wohl sagen, es hätten die Komödienzettel damals lauten müssen: Pseudo - Hamlet, oder Titularprinz von Dänemark. Und dennoch diese Wirkung, diese gänzliche Umwandlung der ästhetischen Richtung: wie viel trug selbst jener falsche Hamlet dazu bei! Mochte die unbeholfene Scheere auch noch so sehr in diesen reichen Flügeln gewüthet haben, um das Leben zu bringen war einmal dieser Adler nicht; oder (in einem andern Gleichniß) auch ein beraubter, ja halb zerstörter Tempel ist doch immer noch ein Tempel, und Zorn erregend gegen die Verstörer, kündet er doch überall an, daß er nicht zerstört werden konnte.

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Berlin hat die Ehre gewonnen, die erste deutsche. Stadt zu seyn, in welcher Hamlet, um das Jahr 1798 oder 99, in seiner Urgestalt gegeben wurde; doch ging Iffland spåterhin wieder zu der unglücklichen Schröderschen Bearbeitung über. Soll aber einmal von einer Bearbeitung die Rede seyn, so möchte ich darüber nur folgendes mit den kürzesten Worten erinnern *). Was die drei ersten Acte betrifft, so rühre der Bearbeiter um der Poesie selbst willen sey er möglichst feierlich be= schworen! ja nicht an die großen Beziehungen des Staats zu andern Staaten, die der Dichter so einfach und deutlich gezeichnet hat. Thût er es dennoch, so ›beź kommt er nicht mehr als ein interessantes tragisches Faz miliengemälde, das aber, so verarbeitet, keinen reinen Genuß gewähren kann, da sich doch nicht alle Bezie hungen auf das höhere und höchste Drama tilgen lassen. Für ein so tieffinniges, intensiv gedrängtes Werk kann der Hintergrund nie zu weit und geräumig seyn, und es foll deshalb keine Staats- und Meer und Landaussicht verschlossen werden, die Shakspeare öffnete. Nur in der Unterredung Hamlets mit Ophelien vor dem Beginn des Schauspiels werde manches mit Bescheidenheit getilgt. Zwar hatte der Dichter, als solcher, ganz

*) Möge der günstige Leser sich dabei meiner frühern Aufsäge über Hamlet (Freundliche Schriften, Th. I. S. 224 ff., und Ih. II. S. 105–119) erinnern, oder gelegentlich dort nachsehen wollen. Ich habe Grund genug also zu wünschen, ja zu bitten.

Recht: aber wir können es heute noch nicht von der Bühne herab vertragen. Der vierte Act allein ist der Stein des Anstoßes. Sollen wir wagen, ihn, den der Dichter (wie oben erwähnt worden) fast episch behandelt hat, in das straffere Dramatische zu ziehen? So muß die uns Bewohner der Binnenländer fast störende Seereise hinweg. In Hamlets Charakter darf aber nicht der leiseste Zug verändert werden, und wir können Zihm auch die ungeheure Schwäche nicht erlassen, daß er wirklich dem Befehle des Ufurpators Folge leisten will, der ihn nach England und in den Tod senden möchte. Aber er darf nicht abreifen, denn Laertes kehrt drohend zurück; und, wię nachtheilig wir auch über diefen forcirten Jüngling zu denken gezwungen sind, so hat er doch ein unbezweifeltes Recht, den Tod seines Vaters zu ahnden und von Hamlet Genugthuung zu fordern. Dieser kann sie ihm nicht versagen und darf nun nicht fliehen, wenn jener Rache fordernd wiederkehrt. Auf diese Weise wird sein Zurückbleiben durch einen Ehrenpunct motivirt, der ganze Act straffer zusammengezogen, ohne daß in der herrlichen Farbengebung etwas Bedeutsames verloren ginge. + Also ich gestehe es → verfuhr ich bei der Bearbeitung, die zur Feier des 23. Aprils 1816 in Berlin gegeben wurde, und was sich auch dagegen fagen läßt, (ich erbiete mich selbst zu sehr erheblichen Einwürfen) immer mag dieser Ausweg unter den möglichen doch wohl einer der besten seyn.

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