Page images
PDF
EPUB

feinem Glauben und Denken, in seinem Wirken und seinem ganzen Lebenskreise durch die ins innerste Le= ben des gesammten Volkes tief eingreifenden Erschei= nungen mit berührt und erschüttert wurde, wo ein Kaiser und König, wo Fürsten und Ritter mit der Gewalt des Schwertes, wie mit der Macht ihres Geistes, ihrer Gesinnung und moralischen Ueberzeu= gung die politische Gestalt des deutschen Reiches umzuwandeln oder festzuhalten suchten, und wo ein Mönch, aus dem Dunkel eines Klosters hervorgegangen, mit seinem Flammengeiste ein Licht entzündete, welches die Gebrechen, Mängel und Greuel der mittelalterigen kirchlichen Entsittlichung, wenn sie auch längst schon von Einzelnen beleuchtet und aufgedeckt waren, zuerst Laufenden und aber Tausenden klar vor Augen stellte. Eine solche Zeit allgemeiner Aufregung, Bewegung und Theilnahme an Dem, was geschah, mußte auch bis ins gemeine Volk hinab mehr als je zuvor Theilnahme an dichterischer Verherrlichung der großen Reihenführer der Weltereignisse und lebendiges Interesse an Lied und Gesang erwecken. Es wäre wunderbar, wenn in einer solchen Zeit im deutschen Volke Gesang und Lied verstummt geblieben wären und das Volk sich nicht ermuntert und erhoben gefühlt hätte, Alles, was kühn und tapfer, edel und schön, erhaben und großartig in den Erscheinungen der Zeit hervortrat, dichtend zu verherrlichen und im Gesange zu würdigen. Das historische Lied

mußte also damals mehr als je eine allgemeine Volkssache werden. Dazu trug allerdings auch die jüngst erst erfundene Kunst des Bücherdrucks viel bei, denn aus ihr ging noch vor dem Eintritt des sechzehnten Jahrhunderts ein ganz eigenthümliches Mittel zur Verbreitung des Volksliedes und besonders des histo= rischen Liedes hervor; dies waren die sogenannten „flie= genden Blätter"), wodurch die Volkslieder meist gleich nach ihrer Entstehung, noch mit der ersten Frische ihres Daseins und noch im lebendigsten Interesse an Dem, was besungen ward, an das Volk gebracht und zwar auf viel leichterem Wege, als es durch Sammlungen bei der Theuerung des Bücherdruckes möglich gewesen wäre, in tausendfachen Mittheilungen erst recht wahres Volkseigenthum und allgemeiner Volksgesang werden konnten. Auch für uns find sie ein Mittel geworden, wodurch noch ein großer Schat jener Volks- und besonders historischer Lieder sich bis diesen Tag in Bibliotheken, Sammlungen alter Drucke und Archiven erhalten hat. Es kann jedoch hier keineswegs unsere Absicht sein, über das innere We= sen und den Charakter, über den dichterischen und · historischen Werth oder die Form und die verschiedenen

[ocr errors]

1) Ein Ausdruck (eigentlich eine Uebersehung des französischen feuille volante), den, wie Soltau a. a. D. S. VII. meint, Herder zuerst gebraucht hat..

[ocr errors]

Gattungen der Volks- und historischen Lieder der Reformationszeit uns hier weiter einzulassen. Es ist darüber in neuester Zeit durch Sammlungen und Bearbeitungen Vieles ungleich mehr bekannt geworden, als es je vordem war 1). Wir gehen daher zu einem andern Gegenstande über, der bis jeht noch weit weniger besprochen ist.

[ocr errors]

Auch für das Pasquill, Spottlied und Schmähgedicht war das Reformationszeitalter die eigentliche Blütenzeit. Es liegt tief in der menschlichen Natur die Lust und der Hang begründet, Alles, was nicht Achtung erweckt, vielmehr zur Verachtung reizt, was durch Unsittlichkeit dem edlern Menschen widrig ist, was ihn zu Zorn und Haß aufregt, was Schwäche, Sünde und Entartung an sich trägt, Alles, was sich des Adels der menschlich-sittlichen Natur entäußert und entschlagen hat, mit Spott und Hohn und mit der Geißel der Satyre zu verfolgen. Der Mensch begnügt sich nicht, Das, was seiner edlern Natur widerstrebt, was seiner Geistesrichtung zuwider ist und der Stimme seiner eigenen Gesinnung widerspricht, blos zu meiden und zu fliehen; er muß es haffen und mit allen

1) Das Beste, was in neuester Zeit darüber geschrieben worden, ist in der trefflichen Abhandlung enthalten, welche Soltau seiner erwähnten Sammlung vorausgehen läßt.

Histor. Taschenb. IX.

15

Mitteln des Hasses, mit Spott, Hohn und Schmåhung züchtigen. Zwar ist Haß, Widerwille und Ver= achtung keineswegs die einzige Quelle des Spottes und der Satyre, denn oft entspringen diese aus bloßer reiner Lust; man spottet, weil Spotten über ge= wisse Dinge ein geistiges Vergnügen und die Satyre ein Lustwandeln ist, in welchem der Geist, der sich darin ergeht, sich besonders behaglich fühlt, oder auch man spottet mitunter blos für didaktische Zwecke. Allein in den Gegenständen und Verhältnissen, über die wir hier zu sprechen haben, waren feindliche Interessen, widerstrebende Richtungen und widersprechende Ansichten im Spiele und Parteigeist, Parteienhaß und Sektenfeindschaft, also Haß des feindlich Entgegenstehenden und Verachtung des gegenüberstehenden Unfittlichen und Unedlen und Entarteten regten die Gemüther zu Spott, Hohn und Schmähung auf.

So aus der geistigen Natur des Menschen selbst hervorgehend, waren Spottlieder schon dem frühen germanischen Mittelalter nicht unbekannt; schon Karl der Große mußte ein ausdrückliches Verbot gegen per= sönliche Spottlieder ergehen lassen1). Besonders diente der Klerus in seiner sittlichen Ausartung schon in früher Zeit häufig zum Gegenstande des Spottes und

1) Capitul. c. 13, bei Georgisch p. 496, wò es heißt: Qui in blasphemiam alterius cantica composuerit.

der Satyre; gegen ihn ist eines der ältesten Spottlieder aus dem dreizehnten Jahrhundert, in seiner Form mit lateinischen und deutschen Versen wechselnd, gerichtet 1). Ein Schmählied über das Concilium zu Kostnik züchtigt in mehren Stellen mit scharfem Nachdruck besonders den Papst Johann XXIII und den Erzbischof von Mainz 2), und noch heftiger stellt ein anderes, ebenfalls noch dem Mittelalter angehöriges Spott- und Schmählied auf den Streit mit den Päpsten schon damals die Geldgier, Aufheßerei und das ganze unchristliche Wesen des påpstlichen Stuhles zur Schau3). Je mehr dann aber in der zweiten Hälfte des funfzehnten und im ersten Jahrzehend des sechzehnten Jahrhunderts in der religiösen Richtung der Zeit ein gewiffer protestirender Geist sich hervorbildete und der alten Kirche, den påpstlichen Geboten und Sahungen, den kirchlichen Dogmen und Ceremonien sich stark entgegenstellte, jemehr ferner das morsche und hinfällige Wesen des altgeheiligten Stuhles zu Rom der Christenheit sich kund gab, die Laster

1) In Soltau's Sammlung, S. 41, abgedruckt und mit den Versen beginnend:

Audientes audiant

Diu schande vert al über daz lant.

2) Gleichfalls bei Soltau S. 85.

3) In Wolff's Sammlung histor. Volkslieder S. 596.

« PreviousContinue »