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ist sozusagen ein Paß der auf den Namen und die Person der Vorstellung lautet. Eine Vorstellung, welche mit einer andern verschmolzen ist, kann nicht alle andern qualitativ verschiedenen reproduciren, bloß weil sie unter einander in gleicher Weise verschmolzen sind. Zwei qualitativ verschiedene Reihen reproduciren sich gewiß nicht deßhalb, weil sie dieselbe Folge der Verschmelzungsgrade darbieten.

Wenn es fest steht, daß nur Gleichzeitiges und Gleiches sich reproducirt, ein Princip der Herbart'schen Psychologie welches felbst der gröbste Empirist nicht bezweifeln wird; so bleibt nichts übrig, als die Theorie der räumlichen Wahrnehmung zu modificiren oder für sie ein neues Princip in der eben angedeuteten Weise zu erfinden, wozu sich schwerlich jemand entschließen wird. Das neue Princip würde nämlich nebenbei die ganze Psychologie in die gräulichste Verwirrung stürzen.

Was nun die Modification betrifft, so kann man darüber nicht leicht in Zweifel seyn, wie dieselbe in Anbetracht der Thatsachen nach Herbart's eigenen Principien durchzuführen sey. Wenn zwei verschiedenfarbige gleiche Gestalten sich reproduciren und als gleich erkannt werden, so ist dies nur durch in beiden Vorstellungsreihen enthaltene qualitativ gleiche Vorstellungen möglich. Die Farben sind verschieden. Es müssen also an die Farben von diesen unabhängige gleiche Vorstellungen geknüpft feyn. Wir brauchen nicht lange nach ihnen zu suchen, es sind die gleichen Folgen von Muskelgefühlen des Auges bei beiden Gestalten. Man könnte sagen, wir gelangen zum räumlichen Sehen, indem sich die Lichtempfindungen in ein Register von abgestumpften Muskelempfindungen einordnen *).

Nur einige Betrachtungen, welche diese Rolle der Muskelempfindungen wahrscheinlich machen. Der Muskelapparat eines Auges ist unsymmetrisch. Beide Augen zusammen bilden ein System von verticaler Symmetrie. Hieraus erklärt sich schon Manches.

*) Vergl. Cornelius über das Sehen. Wundt, Theorie der Sinneswahrnehmung.

1) Die Lage einer Gestalt hat Einfluß auf ihre Betrachtung. Es kommen je nach der Lage bei der Betrachtung verschiedene Muskelempfindungen in's Spiel, der Eindruck wird ein anderer. Um verkehrte Buchstaben als solche zu erkennen, dazu gehört lange Erfahrung. Der beste Beweis hiefür sind die Buchstaben d, b, p, q, welche durch dieselbe Figur in verschiedenen Lagen dargestellt und dennoch als verschieden festgehalten werden *). 2) Dem aufmerksamen Beobachter entgeht es nicht, daß aus denselben Gründen, sogar bei derselben Figur und Lage noch der Firationspunkt von Einfluß ist. Die Figur scheint sich während der Betrachtung zu ändern. Ein achteckiger Stern z. B. den man construirt, indem man consequent in einem regulären Achteck die 1ste Ecke mit der 4ten, die 4te mit der 2ten u. f. f. immer zwei Ecken übergehend verbindet, hat je nach dem man ihn fixirt, abwechselnd bald einen mehr architektonischen, bald einen freieren Character. Vertikale und horizontale Linien werden stets anders aufgefaßt als schiefe.

3) Daß wir die vertikale Symmetrie als etwas Besonderes bevorzugen, während wir die horizontale Symmetrie unmittelbar gar nicht als solche erkennen, hat in der vertikalen Symmetrie des Augenmuskelapparates seinen Grund. Die linke Hälfte a

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einer vertikal symmetrischen Figur löst in dem linken Auge dieselben Muskelgefühle aus, wie die rechte Hälfte b in dem rechten. Das Angenehme der Symmetrie hat zunächst in der Wiederholung der Muskelgefühle seinen Grund. Daß hier eine Wiederholung stattfindet, welche sogar zur Verwechselung führen kann, beweist nächst der Theorie die Thatsache, welche jedem quem dii oderunt bekannt ist, daß Kinder häufig Figuren von rechts nach links (nie von oben nach unten) verkehren, z. B. ɛ statt

*) Vergl. Mach über das Sehen von Lagen und Winkeln. Sizungsber. der Wiener Akademie 1861.

3 schreiben, bis sie endlich den geringen Unterschied doch merken. Daß aber die Wiederholung von Muskelgefühlen angenehm seyn kann, lehrt die Figur c. - Wie man sich leicht klar machen kann, bieten vertikale und horizontale Gerade den symmetrischen Figuren ähnliche Verhältnisse, die sofort gestört werden, wenn man die Lage der Linie schief wählt. Man vergleiche was Helmholz über die Wiederholung und das Zusammenfallen der Partialtöne sagt.

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Es sey erlaubt hier eine allgemeinere Bemerkung anzuknüpfen. Es ist eine ganz allgemeine Erscheinung in der Psychologie, daß gewisse qualitativ ganz verschiedene Reihen von Vorstellungen sich gegenseitig wach rufen, gegenseitig reproduciren, in gewisser Beziehung doch als gleich oder ähnlich erscheinen. Wir sagen von solchen Reihen, sie seyen von gleicher oder ähnlicher Form, indem wir die abftrahirte Gleichheit Form nennen. 1) Von räumlichen Gestalten haben wir bereits gesprochen.

2) Wir nennen zwei Melodieen gleich, wenn sie dieselbe Folge von Tonhöhenverhältnissen darbieten, die absoluten Tonhöhen (die Tonart) mag noch so verschieden seyn. Wir können die Melodieen so wählen, daß nicht einmal zwei Partialtöne von Klängen in beiden gemeinschaftlich sind. Doch erkennen wir die Melodieen als gleich. Ja wir merken uns die Melodieform sogar leichter und erkennen sie leichter wieder, als die Tonart (die absolute Tonhöhe) in der sie gespielt wurde.

3) Wir erkennen an zwei Melodieen den gleichen Rhythmus, die Melodieen mögen sonst noch so verschieden seyn. Wir merken und erkennen den Rhythmus sogar leichter als die absolute Zeitdauer (das Tempo).

Diese Beispiele mögen genügen. In allen diesen und allen ähnlichen Fällen kann das Wiedererkennen und die Gleichheit nicht auf den Dualitäten der Vorstellungen beruhen, denn diese sind verschieden. Andrerseits ist das Wiedererkennen, den Principien der Psychologie zufolge, doch nur nach Vorstellungen gleicher Qualität möglich. Also giebt es keinen andern Ausweg, als wir denken uns die qualitativ ungleichen Vorstellungen zweier

Reihen nothwendig mit irgend welchen qualitativ gleichen verbunden. Wie in gleichen verschiedenfarbigen Gestalten gleiche Muskelgefühle auftreten müssen, damit die Gestalten als gleich erkannt werden, so müssen auch allen Formen überhaupt, man könnte auch sagen, allen Abstractionen, Vorstellungen von eigenthümlicher Qualität zu Grunde liegen. Dies gilt für den Raum und die Gestalt so gut wie für die Zeit, den Rhythmus, die Tonhöhe, die Melodieform, die Intensität u. s. w. Aber woher soll die Psychologie alle diese Qualitäten nehmen? Keine Sorge darum! Sie werden sich alle so gut finden wie die Muskelempfindungen für die Raumtheorie. Der Organismus ist vorläufig noch reich genug, uns nach dieser Richtung die Auslagen der Psychologie zu decken, und es wäre Zeit mit der körperlichen Resonanz", welche die Psychologie so gern im Munde führt, einmal Ernst zu machen.

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Verschiedene psychische Qualitäten scheinen unter einander in einem sehr engen Zusammenhange zu stehen. Speciellere Untersuchungen hierüber, so wie der Nachweis, daß diese Bemerkung sich für die Physik verwerthen läßt, sollen später folgen. *)

Die Ethik des Maimonides und ihr Einfluß auf die scholastische Philosophie des dreizehnten Jahrhunderts.

Von Dr. Adolph Jaraczewsky.

Daß die jüdischen Philosophen und die jüdische Philosophie Einfluß auf die Scholastik geübt, ist weder ein neuer noch ein bestrittener Saz. Aber die Anerkennung dieses Sages in der Ausdehnung, in welcher er auf Geltung Anspruch machen kann, vermißt man dennoch in den neuesten Darstellungen der Philosophie des Mittelalters. In der Regel giebt man den Juden die bloße Rolle von Vermittlern, durch welche dem christlichen

*) Vergl. Mach zur Theorie des Gehörorgans. Sigungsber. 1863. Ueber einige Erscheinungen der physiologischen Akustik. Sißungsber. 1864.

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Abendlande die arabisch- griechische Philosophie zugeführt worden ist; ihre selbstständigen Leistungen werden zum mindesten unterschäßt. In Wahrheit aber sind sie nicht blos fast das einzige Medium, durch welches dem chriftlichen Europa Aristoteles verständlich wurde, sondern es gebührt ihnen noch ein viel höherer Ruhm, nämlich der: durch das, was sie Selbstständiges geleistet, einen direkten Beitrag zu den bedeutendsten scholaftischen Syftemen geliefert zu haben.

Die scholastische Philosophie beginnt, wenn man die unbedeutenden, nicht nachhaltigen Spuren philosophischer Regsamkeit unter den Karolingern unberücksichtigt läßt, mit dem 11. Jahrhundert, erreicht ihren Höhepunkt im 12. und 13., und verfällt in den folgenden Jahrhunderten. Den Höhepunkt repräsentiren die kolossalen Arbeiten der Dominikaner Albertus Magnus und Thomas von Aquino, und des Franziskaners Duns Scotus. Aber zwischen den Arbeiten dieser Männer und denen der vorangehenden Zeit, z. B. des Petrus Lombardus, liegt eine Kluft, die nur durch Berücksichtigung des mächtigen Impulses ausgefüllt werden kann, den die durch Juden vermittelte Bekanntschaft mit Aristoteles und seinen Auslegern und Fortseßern geübt hat. Es liegt nicht in der Absicht dieser Arbeit von den Leistungen der Juden als Ariftoteles - Uebersezer zu reden, wir wollen hier vielmehr zeigen, wie weit die jüdischen Philosophen des Mittelalters über Aristoteles hinausgingen, und wie sie einen selbstständigen Einfluß auf die scholastische Philosophie übten.

Wir werden in der Folge die hier aufgestellten Behauptungen an dem hervorragendften und bedeutendsten unter den jüdischen Philosophen des Mittelalters, an Maimonides, nachzuweisen suchen, und uns vorläufig begnügen, das Hinausgehen dieses Philosophen über Aristoteles in der „Psychologie und Ethik“ durch eine genaue wissenschaftliche Vergleichung der einschlägigen Werke der beiden Philosophen, hier klar darzulegen. Denn gar oft ist gesagt worden, Maimonides folge dem Aristoteles, aber das wie weit"? haben wir noch nirgends angegeben ge

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