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entschiedenen Anklang gefunden hat und selbst von späteren rationalistischen Denkern, wie Clarke und Price, im wesentlichen akzeptiert worden ist. Scheint es aber nun nach allem Gesagten nicht, als ob bei Cumberlands Art, das Sittliche abzuleiten und die sittliche Verpflichtung zu begründen, schließlich doch alles auf eine Befriedigung des Egoismus hinauslaufe, wozu auch das Fördern des allgemeinen Wohles nur als Mittel diene? Diesen Einwand, dessen leitender Gedanke in der späteren geschichtlichen Entwicklung eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt hat, nimmt Cumberland voraus, um ihn zu widerlegen. Er weist darauf hin, daß die sogenannte Sanktion eines Gebotes, d. h. die Ausrüstung desselben mit Belohnungen und Strafen, zwar derjenige Punkt sei, an welchem sich die Verpflichtung am unmittelbarsten geltend mache, daß aber sowohl die Absicht des Gesetzgebers als die Intention desjenigen, der das Gesetz in vollem Maße zu erfüllen strebe, mehr voraussetzen, als eine so äußerliche Gesetzeserfüllung. Denn das letzte Ziel, welches der Gesetzgeber im Auge habe und welches auch den Gehorchenden leiten müsse, sei die universelle Glückseligkeit. Wenn man dies stetig festhalte, so geschehe der Aufrichtigkeit unseres Gehorsams dadurch kein Eintrag, daß es das Verlangen nach unserem eigenen Glücke ist, welches uns zu der Einsicht führt, es sei unserem Handeln von der Gottheit ein noch höheres Ziel gestekt.80

3. Geschichtliche Stellung Cumberlands

Die Theorie Cumberlands nimmt eine außerordentlich merkwürdige Stellung in der Geschichte der englischen Ethik ein. Es widerfährt ihr durchaus nicht volles Recht, wenn man sie nur als Bestandteil der gegen Hobbes gerichteten Polemik aufzählt. Die Opposition gegen Hobbes ist allerdings die äußere Veranlassung der Schrift und gegen ihn richtet sich auch ihre am meisten kenntliche Spitze. Aber viel wichtiger als die Polemik sind die positiven Aufstellungen Cumberlands. Seine Form ist schwerfällig und sein Gedanke selbst von einer gewissen Verworrenheit kaum freizusprechen; 81 aber wer die Hauptzüge seiner Doktrin, wie sie die obige

Darstellung aus den langatmigen Sätzen und endlosen Wiederholungen des Verfassers herauszuheben versucht hat, aufmerksam überdenkt und mit der nachherigen Entwicklung der ethischen Theorien in England und Schottland vergleicht, wird mit Staunen gewahr werden, daß sich hier noch in unklarer Vermischung die beiden Hauptrichtungen vereinigt finden, welche später in scharfe Gegensätze gesondert auseinandertreten der ethische Nominalismus und Utilitarismus, wie er in Locke und seiner ganzen Schule bis auf Paley herrschend erscheint, auf der einen Seite; der ethische Realismus und die Gefühlsmoral in ihren verschiedenen Formen, welche von Shaftesbury inauguriert und hauptsächlich von schottischen Denkern gepflegt werden, auf der andern Seite.

Die Begründung des Pflichtbegriffes auf die guten oder schlimmen Folgen, welche nach der Einrichtung der Natur das Tun des Menschen begleiten, indirekt auf den Willen Gottes, als des höchsten Gesetzgebers, welcher mit der Beobachtung seines Willens Belohnungen, mit der Verletzung desselben Strafen verbunden hat: das sind Ideen, welche, wie die weitere Darstellung zu zeigen haben wird, später in der Ethik der Lockeschen Schule zu fester Geltung und ausgebreiteter Wirksamkeit gelangt sind, deren eigentliche Quelle aber nicht bei Locke, sondern bei Cumberland zu suchen ist. Daß aber anderseits die guten und bösen Folgen unserer Handlungen nicht allein die Sittlichkeit ausmachen, sondern diese eine reale Grundlage in der auf Soziabilität und tätiges Wohlwollen gegen alle seinesgleichen angelegten Natur des Menschen besitzt, welche denselben zum sittlichen Handeln. treibt, ganz abgesehen davon, was dabei für ihn oder andere an Glück herauskommen mag dieser Gedanke Shaftesburys und der in seinen Fußtapfen wandelnden Ethiker ist ebenfalls nicht im höchsten Sinne original, sondern bildet einen wesentlichen Bestandteil von Cumberlands Theorie. Diese nimmt also durchaus eine Doppelstellung ein: ist zugleich abschließend und neue Bahnen eröffnend, was man mit gleichem Rechte von keinem der übrigen gegen Hobbes gerichteten Systeme behaupten kann, welche entweder nur ältere Positionen verteidigen und ohne alle Nachwirkung bleiben, oder auch da,

wo ihre Gedanken in der späteren Entwicklung wieder vor kommen, doch keineswegs das Schlagwort für eine so reiche und vielseitige Gestaltung zu geben vermögen. Der eingehenden Prüfung dieser aus der gemeinsamen Wurzel des Cumberlandschen Systems hervorgewachsenen Gedankenbildung soll das nächste Kapitel gewidmet sein.

VIII. Kapitel

Locke und seine Gegner: Clarke und Shaftesbury

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1. Abschnitt

Locke1

1. Ursprung des Sittlichen

2

Lockes Essay on human understanding" erschien zuerst im Jahre 1689; knüpft also der Zeit nach ziemlich unmittelbar an die im vorigen Abschnitte behandelten Werke an. In welcher Weise seine ethische Doktrin auch dem Inhalte nach zu Cumberland in Beziehung steht, wurde bereits angedeutet. Allein die geschichtliche Geltung Lockes nach dem bemessen zu wollen, was er seinen Vorgängern zu danken hatte, wäre im höchsten Grade einseitig; nicht die Anregungen, die Locke von verschiedenen Seiten empfangen hat, können dabei den Ausschlag geben, sondern nur wie er dieselben zu benutzen wußte und wie er auf die Späteren zu wirken vermocht hat. Ueber diesen Punkt aber gibt es kaum Meinungsverschiedenheiten: daß er der Philosophie Englands, und im weiteren Verlaufe auch der Frankreichs, auf Generationen hinaus eine bestimmte Richtung gegeben hat, daß sich an seine Lehre, erläuternd oder bekämpfend, die Methode benützend, die Ergebnisse um- und weiterbildend, die Mehrzahl der philosophischen Leistungen beider Nationen fast ein volles Jahrhundert hindurch angeschlossen hat: das sind Tatsachen, die als solche feststehen, wenn auch die Beurteilung derselben je nach dem Standpunkte wechseln mag.

Eine Untersuchung aber war das Hauptziel der Lockeschen

Philosophie sie spitzte sich gewißermaßen in der Frage zu: Gibt es angeborene Ideen oder nicht?" In voller Uebereinstimmung mit seiner sonstigen Beantwortung dieser Frage finden wir bei Locke eine schneidende Kritik des Angeborenseins der obersten sittlichen Begriffe oder bestimmten sittlichen Gesetze, in dem Sinne, in welchem die kirchliche Ethik das angeborene Sittengesetz im Menschen behauptet hatte oder in welchem dieser Begriff wieder von Cudworth angenommen worden war. Die Behauptung selbst, welche er vertrat, war nicht neu; denn daß das Sittliche nicht von Natur im Menschen liege, sondern durch einen ziemlich verwickelten Prozeß und als Ergebnis einer gewissen Berechnung in einer je nach den Umständen wechselnden Form erst entstehe, war schon von Hobbes gelehrt worden und Cudworths eigene Aprioritätstheorie war erst im Widerspruch gegen jenen erwachsen.

Neu aber ist die Form, welche Locke seinem Argumente gibt, so daß dieses zwar der Grundanschauung nach mit Hobbes übereinkommt, aber doch zugleich einen weiteren Gesichtspunkt hinzufügt. So kann man gewissermaßen die Lockesche Polemik gegen die angeborenen sittlichen Begriffe als eine Replik der von Hobbes vertretenen Anschauung betrachten und die Thatsache, daß trotz mancher Anklänge ein direkter Einfluß von Hobbes auf Locke weder wahrscheinlich noch nachweisbar ist, 5 Lockes Anschauung also ganz unabhängig erwuchs, vermag das Gewicht dieser Uebereinstimmung nur zu verstärken.

Es kann keine angeborenen, durch sich selbst evidenten Begriffe oder Axiome des Sittlichen geben (so schließt Locke), weil es erstens keine praktische Wahrheit gibt, die allgemein (universally), ohne jeden Schatten von Zweifel oder Fraglichkeit anerkannt wäre; weil zweitens ebenso wenig eine sittliche Regel gedacht werden kann, nach deren Grund man nicht zu fragen vermöchte, ohne sich im mindesten lächerlich zu machen; und weil drittens alle diese angeblich angeborenen Regeln fortwährend mit der größten inneren Ruhe und Zuversicht übertreten werden. Die drei angeführten Tatsachen aber wären unmöglich, wenn es wirklich angeborene praktische Prinzipien gäbe. Auch rein praktisch scheint Locke die Theorie des

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