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den Charakter einer sittlichen Tat des Absoluten dadurch zu retten, daß er sie als die Wahl des Besten unter vielen Möglichkeiten bezeichnet. Allein dieser Gedanke vernichtet sich selbst. Weder deduktiv noch induktiv ist dieser Satz zu erweisen.

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Zunächst muß dahingestellt bleiben nach dem eben Bemerkten, ob die Anwendung des Begriffes sittlich" auf das Absolute überhaupt einen Sinn haben kann; sodann müßte durch eine vergleichende Betrachtung der Natur und des Weltlebens gezeigt werden, daß die Erscheinungen nur unter der Voraussetzung einer nach sittlichen Motiven wirkenden Kausalität verständlich werden können. Dieser Beweis ist niemals erbracht worden und kann niemals erbracht werden. Wir mögen das Absolute mit sittlichen Prädikaten ausstatten oder nicht: einerlei; sein Verfahren hat sicher gar keine Aehnlichkeit mit dem nach unseren Begriffen Sittlichen. Gestatten wir uns, in Ermangelung eines nachweisbaren transzendenten Zweckes, die Entwicklung der Welt und des in ihr liegenden, unendlichen Reichtums an Kräften und Lebensformen, die höheren geistigen Gestaltungen mit einbegriffen, als immanenten Zweck zu bezeichnen, so muß jede unbefangene Beurteilung der Welt, welche nicht Gemüts postulate mit Erkenntnissen verwechselt, zugestehen, daß Weltlauf und Weltgesetze zu dem nach menschlichen Begriffen Sittlichen kaum irgend erkennbare Analogien aufzuweisen haben. In der Tat zeigen beide als hervorstechendsten Zug eine so grandiose Ausbeutung aller Einzelnen für die Zwecke des Ganzen, eine so vollkommene Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel, daß sicherlich niemals jemand aus der Betrachtung der Natur und des Weltlaufs auch nur den leisesten ethischen Impuls zu schöpfen vermocht hat, und wir für Menschen, in denen diese dämonische Rücksichtslosigkeit zum Durchbruche kommt, keine bessere Bezeichnung haben, als indem wir sie mit Naturgewalten vergleichen. 13

Alle sittliche Kulturarbeit des Menschen besteht demnach nicht etwa in einem gelehrigen Aufnehmen der Lektionen, welche die Welt betrachtung erteilt, sondern sie ist ein beständiger Kampf der menschlichen Vernunft gegen die Welt

Jodl, Geschichte der Ethik. I. 2. Aufl.

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gesetze, um an ihre Stelle Vernunftgesetze treten zu lassen. Natürlich ist dieser Kampf der Menschheit um das Sittliche gegen das Natürliche selbst ein notwendiger Bestandteil des allgemeinen Lebensprozesses und daher, auf eine nicht schwierig zu erklärende Weise, dazu bestimmt, den Zweck des Daseins zu fördern. Es ist aber eine großartige, indessen, wie es scheint, für die geschichtliche Entwicklung der Menschheit notwendige Illusion, die sittlichen Ideale der Menschheit zu Seinsformen des Absoluten machen und ihre Geltung dadurch stützen zu wollen, daß man sie als Eigenschaften des Absoluten, somit als objektiv-reale Mächte, in der Welt aufzuweisen sucht. In diesem mit dem absoluten identifizierten Wesen betet die Menschheit sich selber an ihr Bestes, Höchstes, Heiligstes, ihre Ideale. Vor ihnen demütigt sie sich, von ihnen fühlt sie sich erhoben. In dem einen Sinne eine der gewaltigsten aller Kräfte, in dem anderen gar nicht ins Reich der Wirklichkeit gehörend. Und so wird auch der Zwiespalt verständlich, der, solange diese Illusion besteht, immer wieder hervorbricht, und erst da für immer sich aufheben läßt, wo diese Illusion ganz und gar in das reine Licht der Erkenntnis zerronnen ist.

Erst wo diese Ueberzeugung lebendig geworden ist, daß unsere Ideale mit unserer Welterkenntnis gar nichts zu tun haben, daß alle Mühe verloren ist, welche diese Ideale von außen stützen und beweisen will und die wahren Interessen des Ideals nur kompromittiert, weil das notwendige Scheitern aller dieser Versuche die wahren Grundlagen des Ideals verbirgt erst da ist es möglich, vollkommen klare Welterkenntnis mit dem reinsten Streben nach dem Idealen zu verbinden, und nicht mehr zagen zu müssen, daß ein Fortschritt in der Erkenntnis irgendwelche heilige oder wertvolle Güter der Menschheit gefährde. Wahrlich, es stünde jammervoll um die Ideale der Menschheit, wenn sie von dem Welterkennen abhängig wären, aus ihm in unsere Brust gelangen müßten! Das haben die Theologen aller Zeiten richtig gefühlt, und sich stiller oder lauter gegen die verhängnisvolle Wissenschaft gewehrt! Sie hätten ganz recht gehabt, wenn den richtig verstandenen Idealen durch irgendwelche Welterkenntnis, zu

welchen Resultaten sie auch führen mag, beizukommen wäre. Aber nur das falsche oder auf falscher Grundlage ruhende Ideal wird von dieser Gefahr ernstlich bedroht. Aus dem Verkennen dieser Wahrheit aber rührt jene Verwirrung her, die gerade in unserer Zeit Tausende von Gemütern ängstigt und trübt, weil sie die Forderungen ihrer Erkenntnis und ihres Ideals, d. h. ihres Glaubens, nicht in Einklang zu setzen wissen. Da sie keines von beiden opfern wollen, so entspringt jenes haltlose Schwanken, jene klägliche Halbheit, welche die wahren Interessen der Menschheit empfindlicher schädigt, als ein offener Bruch mit dem einen zu Gunsten des andern, und nicht eher beseitigt werden kann, ehe die Scheidung Grundlage unserer Erziehung geworden ist.

3. Psychologische Grundlegung

Wie jene metaphysischen Fragen hat Leibniz auch die Psychologie des Sittlichen nirgends in systematischem Zusammenhange behandelt, sondern sich auf gelegentliche Erörterung einzelner Fragen beschränkt. Wie enge die Verbindung seines Denkens mit der Theologie war, sieht man deutlich daraus, daß auch hier fast nur die Punkte eingehender besprochen werden, an welchen sich die Ethik mit der Dogmatik berührt, wie die Lehre von dem Verhältnis zwischen Freiheit und Notwendigkeit im Willen. 14 Ueberall aber, wo Leibniz das ethische Gebiet berührt, zeigt er sich den verschiedensten Kontroversen gegenüber als Vertreter einer zwar in aphoristischer Form entwickelten, aber im Grundgedanken einheitlichen Ansicht, welche er mit Nachdruck zur Geltung zu bringen bemüht ist.

Zunächst finden wir Leibniz auch auf psychologischem Gebiete als Gegner der Lockeschen Anschauung, welche schon seine Metaphysik des Sittlichen bekämpft hatte. 15 Was Leibniz an ihr auszusetzen findet, ist die Leugnung jeder angeborenen Grundlage für das Sittliche, die Ableitung desselben lediglich aus den verschiedenen Formen des Gesetzes und aus.

verstandesmäßiger Reflexion auf die Folgen unserer Handlungen. Wie Cumberland und Shaftesbury sucht er darum nach einer Grundlage für das Sittliche in der gesamten Organisation des Menschen; wie Price nach einer Auffassung, welche die objektiv-teleologische Bedeutung der Sittlichkeit sichert. Die innere Verwandtschaft des Leibnizschen Denkens mit diesen Vorkämpfern des ethischen Realismus in England ist in die Augen springend; und die Unwahrscheinlichkeit einer eigentlich litterarischen Anregung kann das Gewicht dieser Uebereinstimmung nur verstärken. 16 Freilich müssen wir uns da, wo uns bei den englischen Forschern ausgeführte Untersuchungen vorliegen, bei Leibniz mit einigen Andeutungen und Winken begnügen.

Der alte Begriff der lex naturalis", welchen, wie schon erwähnt worden ist, auch Leibniz noch immer bewahrt, wird unter dem Einflusse der Lockeschen Kritik zeitgemäß umgestaltet. Angeboren sind uns nicht Vernunfteinsichten, welche ja ein verhältnismäßig spätes Produkt des Geistes sind, sondern Instinkte, die uns durch einen unmittelbaren Trieb und durch das ihre Befriedigung begleitende Vergnügen nach gewissen Richtungen führen, und aus denen erst später, wenn die Tendenz derselben durch vernünftige Einsicht klar wird, das eigentlich Sittliche entsteht. Es gibt eine natürliche instinktive Sittlichkeit des Menschen, welche sich in seinem Tun unbewußt geltend macht, gerade so wie die Gesetze der Logik in seinem Denken vor aller bewußten Aufklärung und die Gesetze der Mechanik in seinem Gehen und Stehen vor aller Kenntnis der Mathematik. Das Gefühl der Menschlichkeit gegen seinesgleichen, der Trieb der Soziabilität, dessen ursprünglichste Aeußerungen sich in den Verhältnissen der Geschlechter und der Familie studieren lassen; dann aber auch ein gewisses Gefühl für Würde und Schicklichkeit, werden von Leibniz als solche primitive Regungen der sittlichen Instinkte bezeichnet, welche die objektiv-reale, d. h. von der bloßen Konvenienz unabhängige, Existenz des Sittlichen, als eines Grundbestandteiles der menschlichen Natur, verbürgen.

Was das Verhältnis dieser ursprünglichen Beschaffenheit zu der späteren Entwicklung, d. h. zu den Elementen der

Kultur im weitesten Sinne anlangt, so ist Leibniz klarsehend genug, um dasselbe als ein doppelseitiges aufzufassen. Einerseits nämlich weist er darauf hin, wie häufig es sei, daß diese Instinkte, welche keineswegs unwiderstehlich wirken, durch Leidenschaften, Vorurteile und entgegenstehende Gewohnheiten, die sich ihnen zum Trotz ausbilden, übertäubt und gehindert werden; anderseits erkennt er an, daß diese natürlichen Neigungen nichts weiter seien, als Stützen für die Vernunft und Winke, welche dieser den Willen der Natur verraten. So wenig man auch den Anteil der letzteren verkennen dürfe, so wenig reiche die natürliche Anlage allein, ohne die Unterstützung von Erziehung, Gewohnheit, Ueberlieferung und vernünftiger Ueberlegung aus, um die Sittlichkeit sicher zu begründen.

So weit Leibniz' Vermittlungsversuch zwischen den Theorien, auf deren gegenseitiger Reibung die Entwicklung der englischen Ethik beruhte, und die dort zu einer fortgehenden Vertiefung der Probleme und allseitigster Behandlung geführt hatte.

Schon diese Andeutungen lassen erkennen, daß Leibniz kein einseitiger Intellektualist ist. Weniger als Spinoza hat er den praktischen Charakter des Sittlichen verkannt. Wohl teilt er mit ihm die Ansicht, daß die Ausbildung der Erkenntnis ein unentbehrliches, ja das vorzüglichste Hilfsmittel zur sittlichen Vervollkommnung sei; aber niemals hat er wie dieser den Willen vollständig in der Erkenntnis aufgehen lassen. Aber trotz dieses Mangels seiner Psychologie war Spinoza ein zu tiefblickender Denker gewesen, als daß die fundamentale Bedeutung des Willens nicht doch, wenn auch in anderer Form, in seinem System zur Geltung gekommen

wäre.

Und in der Tat: wer den Satz aussprechen konnte, alles Sein sei Selbstbehauptung, und auch das Sittliche nur als die höchste und reinste Form dieses Grundtriebes bei dem Vernunftwesen faßte, der würde auch dem Leibnizschen Gedanken, daß der Trieb nach Glückseligkeit in der einen oder anderen Form die Wurzel alles Lebens und Handelns sei, nichts Ernstliches entgegengestellt haben.

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