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Wallenstein!), daß man Menschen „Glas, Haare, Eierschalen, ja giftige Thiere, Eidechsen, Kröten, Molchen“ aus dem Körper geschnitten habe, nachdem sie denselben angezaubert worden waren; man habe gesehen, „daß am hellen Tage Getreidegarben auf den Äckern sich von selbsten aufgerichtet, auch ganze Schöber Heu in die Höhe gestiegen und über Berg und Thal weggefahren“ seien, daß man aus Stricken Milch gemolken, daß Mädchen Federn, Reisig und Gesträuch aus dem Munde gezogen wurden und vergleicht einfach die Geister mit dem Winde. Seckendorff fügt hinzu, als Charakteristicum für den Stand der Naturwissenschaften in Deutschland zur damaligen Zeit sei dies hierhergesezt, daß der Wind vorhanden und wirksam sei, „obgleich der Wind an sich selbst nicht sichtbar ist, auch noch kein Mensch ergründet hat, woher er kommt und wohin er geht“1). So hält Seckendorff auch Gott für einen Geist, erklärt es für „Vorwig“ und führt es auf „der Menschen Thummigkeit“ zurück, daß sie „einen sichtbaren Gott haben wollen“.

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Seckendorff nennt alle jene Menschen Atheisten, welche an Gott nicht glauben oder welche ihren Glauben verbergen oder Glauben heucheln oder zwar einen Gott bekennen, aber seine Allmacht, Allweisheit, Allgegenwart ableugnen 2); er verurtheilt jeden Atheisten schon vom religiösen Standpunkte aus, fügt aber ebenso vorsichtig als praktisch hinzu, daß der Glaube auch mehr Sicherheit als der Atheismus gewähre 3), „denn der Gläubige kann bei seinem Glauben nichts verlieren noch einbüßen, wenn gleich des Atheisten Meinung nach die Seele unsterblich wäre“; wenn aber der Atheist sich irrt, so muß er „nothwendig einbüßen“. So hat auch schon Seckendorff das Hervorheben der Nüßlichkeit, wenn er einen Grundsay ausgesprochen hat. Häufig genug hat

1) Wie weit steht er und mit ihm Deutschland zurück gegen Bodinus, welcher sagt (Les six livres de la République [1576] p. 429. IV. II): »Il n'y a rien de fortuit en ce monde. Deutschland war eben eine Insel! 2) Chr.-St. I. I, 3 ff.

3) Chr.-St. I. I, 10.

man die innere Begründung einer Vorschrift, einer neuen Richtung gegen die Betonung ihrer Zweckmäßigkeit zurückgeseht, wie wir noch oft constatiren werden.

Seckendorff stellte eine auf christlicher Grundlage beruhende Wohlfahrt als das Ziel des menschlichen Lebens und des Staates hin und unterscheidet sich hierin nicht von der Vergangenheit, sondern von dem, was nach ihm kam1). Wir können Seckendorff als den Lezten in Deutschland für lange Zeit hinaus ansehen, welcher in solcher Reinheit und Gänze den Staat auf Religion stellte. Wohlfahrt und Glück kann der Mensch nicht finden ohne die christliche Wahrheit. Tugend und Ruhm gewähren nicht die Befriedigung, wie die Vereinigung mit Gott. Nicht einmal das Anstreben der Tugend befriedigt ihn, denn nichts kommt der göttlichen Seligkeit gleich. Zu dieser könne man aber nur gelangen durch den Glauben und die heiligen Sacramente. Nebenbei vergißt er aber auch nicht hervorzuheben, wie zweckmäßig es sei, wenn sich ein Mensch im Genusse der göttlichen Gnade befinde, denn ohne Gnade ist der Mensch gering und nichtswürdig, mit derselben hoch und kräftig“ 2).

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In den Additiones zum „Christenstaat“ sagt er 3), daß man „Gottes Wort einfältig glauben solle“, ferner „Christen rühmen

1) Roscher (Gesch. d. Nat.-Oek. Bd. 1 S. 240) hebt hervor, daß die religiöse Richtung unter den Zeitgenossen Seckendorff's verblaßte. Richtig ist wohl, daß nach Seckendorff Keiner mehr den Staat so ausschließlich auf Religion stellte wie Seckendorff, obwohl z. B. Becher, wie noch zu beweisen sein wird, den Ansichten Seckendorff's in dieser Hinsicht nahe steht, Hornick und Schröder nicht allzu weit. Alle diese und ihre Nachfolger folgten aber in einem Hauptpunkte den Spuren Seckendorff's in der Bekämpfung der herrschenden Kirche und in dem Verlangen, daß die Kirche sich in den Verwaltungsorganismus des Staates einfüge, und das war ein unberechenbarer, mit den Ansichten Seckendorff's aber vollkommen harmonirender Fortschritt, für welchen das „Verblassen der religiösen Richtung“ wohl nicht die er= schöpfende Charakterisirung bildet.

2) Chr.-St. I. XII, 1 ff.

3) I. VI, 4.

sich nicht ihrer guten Werke, thun sie aber 1). gläubigen Christen voll „großer Freudigkeit und

Dafür sind die

Stärke“ 2). Seine Ueberzeugung gründet Seckendorff voll und ganz auf die Bibel, deren absolute Richtigkeit er an vielen Stellen ausführlich vertheidigt. Man kann sagen, daß das ganze I. Buch des „Christenstaat“ nichts anderes ist, als eine Verherrlichung der Bibel und des Wortes Gottes, welches unbedingt befolgt werden muß 3).

Ein großer Beweis für die innere Vortrefflichkeit und Kraft der heil. Schrift liegt darin 1), daß durch das Christenthum das Heidenthum „ohne Zwang zerstört wurde“, gewissermaßen nur durch die innere Richtigkeit des Ersteren, wobei er allerdings die Heidenverfolgungen und gewaltsamen Bekehrungen, welche uns die Geschichte in Fülle aufbewahrt hat, wahrscheinlich unabsichtlich, zu erwähnen unterlassen hat. Die Obrigkeit hat „nicht die Macht, Glaubensartikuln vorzuschreiben, noch das Gewissen der Unterthanen zu zwingen, wenn gleich die Bischöfe mit einstimmten. Das weiset das Exempel Christi, der ob er wohl gekonnt

keine Gewalt, sondern Lehre gebraucht, desgleichen der Apostel“ 5).

1) I. XI, 6.

2) Chr.-St. I. XI, 8 u. I. XII, 1 ff.

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3) Er erklärt z. B. (Chr.-St. I. V, 6 ff.), daß die Bibel schon deshalb unbedingt glaubwürdig ist, weil kein Buch älter als die Bücher Moses; ja er meint gläubig naiv, daß Gott den Gebrauch der hebräischen und chaldäischen Sprache mit Fleiß deshalb abkommen lasse, damit desto weniger Verfälschungen (der Bibel) zu practiciren wären“. Auch daraus, daß die Evangelisten und Apostel keine Ursache gehabt haben, Unwahrheiten anzugeben, indem sie ja von ihren Aeußerungen keinen Nußen, sondern nur Schaden und Tod gehabt haben, schließt Seckendorff auf die Echtheit der Bibel.

In den Additiones zum „Christenstaat“ (I. XII, 3) sagt er, „es ist auf Erden kein klärer Buch geschrieben, denn die heilige Schrift. Die ist gegen alle anderen Bücher gleich wie die Sonne gegen alles Licht“; „sie ist allein der rechte Lehnsherr und Meister über alle Schrift auf Erden“. Selbst die dunkelsten Stellen in der heil. Schrift machen Seckendorff nicht irre: „Ist aber eine Wolke dafür getreten, so ist doch nichts anderes dahinter denn die selbe helle Sonne“. Kann man einen unerschütterlicheren Glauben haben? 4) Chr.-St. I. VIII, 1 ff.

5) Chr. St. II. IX, 6 f.

Nur wider aufrührerische Kezer ist Gewalt erlaubt“, sagt Seckendorff, der als schroffer Anhänger der Augsburger Confession von Sectirerei nicht ganz freizusprechen ist. Dabei mißbilligt er aber in scharfen Worten die Anwendung von Gewalt, Vermögensconfiscationen u. s. w. zur Erzwingung der Religion, wovon die Theologen weiter zu schreiben wissen“ fügt er mit deutlichem Hinweise auf die katholischen Geistlichen hinzu und hebt mit Genugthuung hervor, daß die protestirenden Obrigkeiten" bei der Reformation Gewalt weder gebraucht noch gebilligt haben, „wenngleich der Pöfel ein und andern Ortes sich etwas Thätliches angemasset". So verlangt denn Seckendorff, ein leuchtendes Beispiel echter Religiosität, im Allgemeinen Glaubensund Gewissensfreiheit und legitimirt sich auch in dieser Richtung als Vorläufer der Aufklärungsepoche.

Seckendorff's Ansicht über das Verhältniß der geistlichen und weltlichen Gewalt faßt er am klarsten in den Worten zusammen, daß die Selbständigkeit der lezteren gegenüber der ersteren „das größte Regal und obrigkeitliche Recht“ ist, welches überhaupt existirt.

Auch in Teutschen Reden") spricht er sich hierüber deutlich aus: „Wenn Paulus sagt, Jedermann, omnis anima sei Unterthan der Obrigkeit, schließt er damit die Priester nicht aus. Ist also von Recht der Natur keine andere Botmäßigkeit in geistlichen als in weltlichen Sachen, sondern wer die höchste weltliche Obrigkeit ist, der ist auch die höchste geistliche“ und deshalb sind diejenigen verantwortlich, welche dieses Recht nicht gebrauchen und ebenso diejenigen, welche sich „einer sonderbaren geistlichen obersten Gewalt über und wider die höchsten Obrigkeiten anmassen.“

In der Durchführung dieser Grundsäße wagt Seckendorff allerdings nicht, völlig consequent zu sein. Wenn die Unterthanen, welche von ihrer Obrigkeit zur falschen Religion ange

1) a. a. D. S. 481 ff.

trieben werden, solche Falschheit, wie sie denn billig thun sollten, erkennen (nach der heil. Schrift nämlich) und doch mit Vorbitten und Entschuldigung nichts ausrichten können, so dürfen sie zwar nicht in Annehmung des falschen Gottes - Dienstes gehorchen, denn da heißt es: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen; sie müssen aber darüber, wo sie nicht entfliehen können, leiden, was die Obrigkeit ihnen zur Strafe anthut und können sich nicht widersehen,“ gerade so wie sich die drei Männer lieber in den Feuerofen werfen ließen als sie den rechten Glauben verleugneten. Der Sah, daß man Gott mehr gehorchen müsse als dem Menschen, blieb auch von der Theorie der absoluten Machtvollkommenheit des weltlichen Herrschers immer unangetastet und nur Hobbes versuchte, ihn theilweise zu beseitigen). Daß ihn der strengreligiöse Seckendorff beibehielt, kann nicht wundernehmen, doch hat er denselben seiner scharfen, verwirrenden Wirksamkeit durch die ethischen Pflichten, dié er dem souveränen Fürsten auferlegte, wesentlich entkleidet.

Seckendorff's Kampf gegen die Uebergriffe der Kirche ist besonders gegen die katholische Kirche gerichtet, wie insbesonders auch aus dem dritten Buche des „Christenstaat“ hervorgeht. Er zieht immer gegen das Papstthum und dessen Clerisei" zu Felde und stüßt sich hierbei auf den Augsburger Frieden des Jahres 1555 und dessen Bestätigung aus dem Jahre 16482).

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Er sieht die Starrheit des Katholicismus klar ein und macht deshalb gegen dieselbe, speziell gegen die Jesuiten Front, wie die späteren Autoren des Wohlfahrtstaates ziemlich ausnahmslos es ebenfalls machen.

Die Unbeweglichkeit der katholischen Kirche, welche unbedingte Unterordnung verlangt und Fortschreiten wenig begünstigt, war in einer Zeit der Verwaltung, in welcher es zunächst galt, neue

1) Gierke a. a. D. S. 309 ff.

2) F.-St. Kap. 11 S. 195.

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