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man niemals weiter gehen als die wahre Noth es erfordert >>than the real necessity extends«. Hutcheson führt als solche dringende Fälle z. B. an, daß Jemand einem Mörder entfliehen will und dies nur dadurch kann, daß er ein fremdes, eben zur Verfügung stehendes Pferd zu diesem Zwecke an sich nimmt oder daß eine Stadt durch einen drohenden Dammbruch zu Grunde gehen würde, aber die Gefahr durch fremdes Holz beseitigt werden könnte; in diesem Falle kann man das Holz an sich nehmen, auch wenn der Eigenthümer abwesend ist, oder das Holz nicht hergeben will und man das Holz sonst nirgendwoher bekommen kann. Hutcheson lehnt es ausdrücklich ab, zur Rechtfertigung dieses Vorganges auf das Dominium eminens zu greifen und erflärt >>the pleas of necessity have the same juste foundation in natural liberty, upon some plain tendency to some important interest of mankind« (II p. 124). Das Recht der Obrigkeit zur Expropriation entsteht daraus, daß das Volk für solche dringende Fälle gerade so wie bei gewaltsamer Vertheidigung und Behauptung seiner anderen Rechte die Obrigkeit als seine Vertreterin delegirt hat. Damit beweist Hutcheson eine fast gesellschaftlich zu nennende Auffassung der Entwährung, durch welche er sich weit über die bei vielen seiner Zeitgenossen wir brauchen nur an Horn zu erinnern — verbreitete Meinung erhebt und einer späteren Zukunft den Weg gezeigt hat.

Aus der Verpflichtung zur Förderung des allgemeinen Wohles geht nebst der Verpflichtung, Selbstmorde zu verhindern und für die Erhaltung des Menschengeschlechtes zu sorgen, ferner für die Eltern, ihre Kinder zu erhalten, leichtsinniges Verderbenlassen von Sachen zu verhüten, auch noch die allgemeine Obliegenheit hervor, den Fleiß der Bevölkerung anzuspornen. »If a people have not acquired an habit of industry, the cheapness of all the necessaries of life rather incourages sloth« (II p.318). Das beste Gegenmittel ist die Vermehrung der Bevölkerung und damit gesteigerte Consumtion ähnlich wie Justi u. A. ihre Raisonnements vorbringen. Arbeitsame Ausländer soll man ins

Land ziehen und ihnen den Aufenthalt angenehm machen; ferner das Volk zur Verheiratung anhalten, Unverheiratete stärker mit Steuern belasten. Ausländische Rohprodukte soll man, nöthigenfalls mit Belohnungen, importiren, verarbeitete Producte des Auslandes soll man stark vertheuern, wenn man den Import nicht ganz verbieten will, besonderes Augenmerk hat man der Schifffahrt zuzuwenden. Im Gegensahe zu den Autoren, mit welchen Hutcheson durch diese Aussprüche sympathisirt, erklärt er aber Verschwendung und Prunksucht einem Staate nicht für nüzlich, sondern für ein eitles Beginnen, das keinen wirklichen Nuzen schafft.

D. Hume.

So imposant die Bedeutung D. Hume's für Philosophie und Staatswirthschaftslehre ist, so können wir für unser unmittelbares Thema uns mit der Constatirung der Thatsache begnügen, daß auch Hume 1) — nach Locke derjenige, welcher den englischen Empirismus am meisten vertieft und zur empiristischen Skepsis umgebildet hat die allgemeine Nüßlichkeit einer Handlung zum höchsten Maßstabe ihres ethischen Werthes annahm. Hume erklärte, daß die Moral und nicht die Vernunft auf die menschlichen Handlungen Einfluß nehme, daß moralische Vorstellungen die Leidenschaften erwecken und Handlungen befördern oder verhindern. Ob eine Handlung tugend- oder lasterhaft ist, entscheiden wir dadurch, daß uns deren Erkenntniß ein Gefühl der Lust oder Unluft verursacht, ähnlich wie auch Locke sagte. Um eine Handlung als tugend- oder lasterhaft zu erkennen, ist mehr ein Gefühl als als ein Urteil nothwendig. Durch dieses Gefühl wird unser Lob und unsere Bewunderung bestimmt, wir untersuchen nicht die Ursachen des Vergnügens oder Mißvergnügens. Wir schließen nicht, daß uns etwas gefällt, weil es tugendhaft ist, sondern wir fühlen, daß es so ist und geht sonach ebenfalls

1) Treatise of human nature 1737.

von dem moralischen Gefühle aus, welches schon Hutcheson verwendet hatte.

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Die Veranlassung der Staatenbildung ist für ihn, wie für Locke, der Umstand, daß die isolirten Menschen ihre Zwecke nicht so gut erreichen können als in der Vergesellschaftung. Die Menschen wollen sich durch das freiwillige Aufgeben eines Theiles ihrer natürlichen Freiheit Sicherheit gegen die Niederträchtigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen verschaffen, welche durch ihre unregelmäßigen Leidenschaften und durch ihr Interesse immer zur Verleßung aller Geseze der Gesellschaft getrieben werden. Der Einzelne ist der Regierung um des allgemeinen Nuzens willen Gehorsam schuldig. Hume verlangt die Wirksamkeit von selbstlosen Trieben, wie Mitgefühl und Wohlwollen und erfaßt sonach die Sittlichkeit nicht vom rein egoistischen Standpunkte aus. Er faßt aber den Staat ebenfalls als eine reine Sicherheits- und Wohlfahrtsanstalt auf, sieht denselben also für ein nothwendiges Uebel an und nähert sich daher auch nicht der organischen Staatsauffaffung.

Das „moralische Gefühl“ wurde bekämpft u. A. von Ad. Smith), welcher bekanntlich erklärte, daß unsere eigennüßigen Regungen mit Gefühlen für Andere zulezt in Eins übergehen. Doch sei es ungenügend, die Sittenlehre bloß auf das Gefühl zu begründen. Das auf Andere gerichtete Wohlwollen könnte sonst einmal auch umschlagen und unter dem Vorwande, Anderen Freude zu machen, könnte der Selbstsucht ein großer Spielraum gegönnt werden. Wenn es ein „moralisches Gefühl“ als besonderes Gefühl gäbe, müßten wir dasselbe doch auch manchmal selbständig fühlen, sowie wir ja auch Zorn, Furcht u. s. w. nicht immer bloß in Verbindung mit anderen Gefühlen kennen lernen. Die Vorstellungen vom Schönen, Guten und Nühlichen sind aber mit der Vorstellung von der Tugend unlöslich verknüpft.

1) Theory of moral sentiments.

J. G. H. Feder.

Sehr bestimmt gegen das „moralische Gefühl“ als Prüfstein für das, was wir thun oder unterlassen sollen, tritt I. G. H. Feder1) auf. Neben dem Triebe zum eigenen Wohlsein regt sich im Menschen, wenn auch schwächer, der Trieb, bei Anderen Mißvergnügen und Schmerz zu lindern und ihnen Zufriedenheit und Vergnügen zu schaffen. Der Mensch hat zwar einen Trieb, „auf Andere zu sehen“, nur findet er nicht immer gleich die Gründe, um sich die gemeine Wohlfahrt des menschlichen Geschlechtes zum höchsten Geseze zu machen, weil er nicht immer weit genug sieht. Feder bekämpft die Ansicht, als ob es ein von der Vernunft unabhängiges oder ihr wohl gar entgegengeseztes Vermögen, Recht und Unrecht zu erkennen, gebe, wohl aber anerkennt er ein natürliches moralisches Gefühl in der Bedeutung eines Vermögens, den Unterschied des moralisch Guten und Bösen in vielen Fällen einigermaßen, ohne die Vorstellung von allgemeinen Grundsägen des Rechtes nöthig zu haben, bisweilen kraft des unmittelbaren Eindruckes, kraft der natürlichen Ideenassociation und zwar mit Rührung, mit Wohlgefallen oder Mißfallen zu erkennen, doch könne dieses Gefühl, unabhängig von der Anleitung und Aufklärung der Vernunft, nicht zum Richter über Recht und Unrecht angenommen werden. Der Affect, den die Vorstellungen von Handlungen und Gemüthsbewegungen unabhängig von den Zergliederungen und Verknüpfungen der Vernunft auf den Menschen machen, richtet sich nicht genau genug nach dem, was sie recht und unrecht macht, als daß man denselben zum Maßstab für Recht und Unrecht machen könne. Dieses natürliche moralische Gefühl wird dem Menschen doch gewisse Dienste leisten können und zwar desto werthvollere, je feiner und faßlicher sein innerer Sinn von Natur und durch Uebung ist", denn das moralische

1) „Ueber das moralische Gefühl“ in „Deutsches Museum“ Bd. 1 S. 15 ff. 103 ff. 287 ff. 479 ff. ex 1776.

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Gefühl gehört mit zu den unzählbar vielen Anwendungen des allgemeinen Grundvermögens der Seele. Darum leugnet Feder auch das Bestehen eines „natürlichen Grundtriebes zur Tugend“ im Menschen, sondern läßt denselben von der Erziehung abhängen, nennt daher die Tugend eine Fertigkeit, welche nur durch Uebung erzeugt werden kann und begehrt sonach ebenfalls unablässig innere Vervollkommnung des Menschen.

Ad. Ferguson.

Zu den Typen unter den englischen Moralphilosophen, deren Grundsäge mit jenen der Autoren des deutschen Wohlfahrtstaates nach der Mitte des 18. Jahrhunderts innerlich harmoniren, gehört Ad. Ferguson. Für ihn ist Tugend, Glückseligkeit und Vollkommenheit identisch. Als erstes Gesetz des menschlichen Willens stellt er den Saz auf, daß der Mensch zunächst auf »selfpreservation<< bedacht ist; »men are disposed to preserve themselves... the hurtful is shunned, the useful is valued« 1). Zweitens strebt der Mensch nach Geselligkeit, »men are disposed to society << diese beiden Geseze stehen in Wechselwirkung zu einander, sowie auch das Gesez der Schwere sich in verschiedener Weise äußert, einmal indem ein Körper fällt, ein andermal indem er liegt und einen Druck ausübt u. s. w. Endlich wirkt im Menschen als drittes „Gesez“ das Streben nach Selbstvervollkommnung >>men are disposed to better themselves... the law of estimation or of progression«. Dieses Streben nach Vervollkommnung ist der sicherste Führer zu Glück und Gedeihen und darum ist die Tugend, d. h. das Streben nach Vervollkommnung seiner selbst und seiner Mitmenschen, das größte Gut. Die Vollkommenheit des Menschen ist Rechtschaffenheit, von Weisheit, Mäßigkeit und Tapferkeit unterstügt; darum ist die Tugend »>the greatest advantage, the securest possession and that which

1) Ad. Ferguson, Institutes of moral philosophy (a new edition 1800. Basel) p. 66 s.

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