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würdiges Loos vorzubereiten, politisches Selbstgefühl und den Staatsbegriff zu erwecken, Mißstände aller Art aufzudecken und auszurotten mit einem Worte, es galt zu befreien, aufzuklären und zu verwalten. Darum fühlten alle Autoren, welche sich mit dem Staatswesen überhaupt befaßten, nicht bloß das Bedürfniß nach philosophischer Vertiefung nnd Reinheit des Systemes, sondern auch nach Zweckmäßigkeit der von ihnen gemachten Vorschläge und Durchführbarkeit ihrer Ansichten und war die „Moral“ der hauptsächlichst gepflegte Theil der Philosophie. Kann es einen charakteristischeren Beleg hierfür geben, als daß selbst Leibniz den Akademien der Wissenschaften die Aufgabe stellte, sie haben ihr Augenmerk „auf den Nußen zu richten, ... theoriam cum praxi zu vereinigen und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commercium und mit einem Worte die Nahrungsmittel zu verbessern"? Auch Wolff erklärt in der Einrichtung des gemeinen Wesens“, daß man Akademien der Wissenschaften errichten solle, welche Wissenschaften und Künste in Aufnahme bringen und durch neue Erfindungen vermehren sollen. Die Mitglieder müssen gut befoldet und in der Abgabe ihrer Meinung vollkommen frei sein. Diese Freiheit ist nach Ansicht Wolff's nicht gefährlich, weil nur solche Personen Mitglieder der Akademie werden können, welche zur Auffindung der Wahrheit besonders geschickt sind und die Wahrheiten nicht zur Unzeit vorbringen werden. ‚Schädlich können nur Meinungen, nicht aber Wahrheiten sein!" Die Akademien haben Alles, was zur Aufnahme der Landwirthschaft, des Gartenbaues, der Handwerke, der Künste dienen kann, zu untersuchen und da die Mitglieder der Akademie keine andere Aufgabe haben, als eben diese, so wird viel geleistet werden können. Weiters haben die Akademien darüber nachzudenken, wie die Geseze zu verbessern wären (S. 428), weil man fremde Geseye (Wolff denkt hier wohl auch an das römische Recht) nur mit Ueberlegung der eigenen und fremden Verhältnisse annehmen

dürfe. Wer denkt, wenn er diese Umschreibung des Zweckes der Akademien der Wissenschaften liest, nicht an die Zustände Deutschlands, welche solche Ansichten nothwendig im Gefolge gehabt haben? Auch Wolff's Nachfolger, z. B. Justi, Sonnenfels u. A. haben die Aufgabe der Akademien der Wissenschaften in ganz ähnlicher Weise aufgefaßt.

Wenn Schmitt henner bei Beurtheilung der damaligen Verhältnisse Deutschlands mit nur zu viel Recht sagte: „Die eigenthümlichen Verhältnisse Deutschlands, solange es seine Reichsverfassung hatte, ließen keine politische Dekonomie aufkommen, sondern gestatteten höchstens eine Cameralwissenschaft, die Finanzpolitik war eigentlich Plusmacherei ...“, so muß doppelt anerkannt werden, daß viele Autoren der damaligen Zeit, und ganz besonders Wolff, das, was überhaupt zu leisten war, geleistet haben. Stahl hat nicht Unrecht, wenn er sagt: „Seine (Wolff's) Lehre ist nur eine anregende Episode zwischen Thomasius und Kant". Da aber Wolff's Bedeutung nicht bloß auf dem Gebiete der Philosophie liegt. obwohl ihn Kant „den größten aller dogmatischen Philosophen“ nennt, auch nicht bloß „in der Geschichte der allgemeinen Bildung“, wie C. Biedermann behauptet, sondern zu einem sehr bedeutenden Theile in der Geschichte der Verwaltung und ihrer Theorie, so können wir diese Urtheile nicht als ganz erschöpfend ansehen.

Uns ist Wolff der philosophische Ausgangs- und Anfangspunkt des Cameralismus. Bei ihm als cameralistischen Philosophen drängt die Verwaltung mächtig in den Vordergrund. Die Richtung, welche Pufendorf schon angedeutet hat, speciell in >> De officio«, und die Glückseligkeitslehre Thomasius' vereinigt sich bei Wolff zu einem auf Liebe beruhenden System von Pflichten, dessen Zweck die Vervollkommnung des Einzelnen und der Allgemeinheit ist.

Schon manche Vorgänger Wolff's in Deutschland, dann englische Moralphilosophen haben Gelegenheit geboten, auf Aristoteles zu verweisen, mit welchem sie deutlichen Zusammenhang

bezüglich des Staatszweckes erwiesen1). Bevor wir unmittelbar in die Zeit des eigentlichen Polizeistaates eintreten, sei dieser Einklang kurz skizzirt.

Nicht bloß daraus, daß Aristoteles' Eintheilung der Regierungsformen, der Grundsaß der Relativität der Verfassungen, wohl auf dem Umwege über Bodinus und Montesquieu im Wohlfahrtstaate fortgewirkt haben, sondern auch sofort durch die Behandlung des Tugendbegriffes zeigt sich die Uebereinstim= mung, abgesehen eben von dem gleichen Endzwecke des Staates, welcher den Zusammenhang besonders evident macht.

Aristoteles bespricht die „Tugend" in ausführlichster Weise, gibt für dieselbe Abstufungen zu und stellt sie als eine Voraussetzung für die richtige Pflichtenerfüllung hin.

Stahl sagt '): „Aristoteles läßt seinen Staat bloß nach Glückseligkeit trachten und es ergibt sich daraus auch die Tugend“. Troß der eigenthümlichen Ausdrucksweise Stahl's liegt in diesem Saze doch die Anerkennung des inneren Zusammenhanges zwischen Tugend und Glückseligkeit bei Aristoteles, welche beiden Begriffe einander geradezu voraussehen. Gerade so ist es beim eudämonistischen Polizeistaate. Freilich darf man nie vergessen, unter welchen Verhältnissen der Polizeistaat entstand und wirkte, sowie daß man ihn eigentlich mit dem in lichten Höhen sich bewegenden griechischen Staatsleben nicht vergleichen darf.

Im Polizeistaate hat man es mit den beschränktesten Privilegien und den zerfahrensten politischen Zuständen und materiellen Verhältnissen zu thun, welche jemals einen Staat desorganisirten. Die Ideen Aristoteles' mußten in eine andere Form ge

1) Auch Stein, Verwaltungslehre Bd. 5 S. 279 (2. Auflage) sagt: „Christian Wolf hat den eigentlichen Inhalt seines Jus gentium et naturae, dieses zwar flachen, aber unabsehbar breiten Systems des Eudaimonismus, aus diesem Capitel der Aristotelischen Rhetorik geschöpft." Diese werthvolle Bestätigung unserer Behauptung kam uns erst zu, nachdem wir dieselbe längst niedergeschrieben hatten.

2) Geschichte der Rechtsphilosophie S. 32.

gossen werden; das Naturrecht brachte hier die Hilfe, das Naturrecht, welches, wenn der Ausdruck erlaubt ist, nicht so sehr juridisches Recht war, als vielmehr, wie Kant sich ausdrückt 1), ein Protest gegen die Entwürdigung der Menschennatur, ein Protest, welcher im Namen der Culturentwickelung vor dem Forum der menschlichen Vernunft eingebracht wurde.

Wir wiederholen, daß wir uns nur bemühen, den gleichen Grundgedanken zwischen den beiden in Rede stehenden Richtungen furz aufzuzeigen, daß wir aber sehr wohl wissen, daß die Vertreter des Polizeistaates zunächst eine mehr materielle Glückseligkeit im Auge gehabt haben; in der Wirkung und im lezten Endziele treffen sich aber die beiden Richtungen.

Im ersten Buche der „Politik“ heißt es (wir citiren nach der Uebersetzung von Bernays 1872): „Sie (die Stadt = der Staat) entsteht zwar aus dem Bedürfnisse bloßen Lebens, besteht jedoch nur zur Erreichung eines guten Lebens“. Niemand thut Etwas als wegen der damit verbundenen Vorstellung von etwas Gutem; jede Gemeinschaft ist zur Erreichung eines Gutes geschlossen; das lebhafteste Streben tritt dann ein, wenn das erstrebte Gut das oberste Gut ist.

„Es entsteht aber diese Richtung (d. h. die auf bloßen Gelderwerb und materielle Genüsse gehende) daher, daß man auf Leben und nicht auf gutes Leben ausgeht und da nun die bloße Lebenslust keine Grenze hat, so begehrt man auch die Mittel zu ihrer Befriedigung in grenzenloser Menge und selbst diejenigen, welche ihr Augenmerk auf Gutleben richten, [suchen das Gutleben nicht im sittlichen Leben, sondern] wollen sich Mittel zu den leiblichen Genüssen verschaffen und da diese Mittel im Besize offenbar enthalten sind, so richtet sich alles Dichten und Trachten auf den Gelderwerb“ (I, 9).

Auch der Polizeistaat, obwohl er den „Gelderwerb“ durchaus nicht gering achtet, begnügt sich mit demselben nicht, ver

1) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung S. XLV.

urtheilt das ausschließliche Streben nach demselben und verlangt, ganz speciell Wolff, von seinen Bürgern allgemeine sittliche Vervollkommnung und dadurch geläutertes Streben nach materiellen Vortheilen, geradeso wie Aristoteles.

Dieser sagt weiter (z. B. III, 6), daß die Menschen überhaupt „staatliche Geschöpfe“ seien, „weshalb auch Menschen, welche gar keiner gegenseitigen Unterstüßung bedürfen, nicht minder sich nach dem Zusammenleben sehnen (wie z. B. schon Seckendorff, selbst Horn behauptet), doch auch das gemeinschaftliche Beste führt sie zusammen (!) [und dieses vertheilt sich auf die Einzelnen] je nach dem Maße, in welchem die verschiedenen Menschenklassen für das schöne Leben empfänglich sind. Dieses schöne Leben ist nun freilich im höchsten Sinne Zweck für die vereinigte Gesammtheit, wie für jeden Einzelnen". „Nur diejenigen Verfassungen, welche auf das Gemeinwohl abzielen, stellen sich nach den allgemein gültigen Rechtsgrundsägen als rechte Verfassungen heraus, die dagegen bloß auf das eigene Wohl der Gebietenden abzielen, alle als verkehrte und als Ausschreitungen der rechten Verfassungen, denn es herrscht in ihnen dasselbe Verhältniß, wie zwischen Herr und Sklave; der Staat aber ist eine Gemeinschaft von Freien.“

Ist hier nicht der Gedanke, welcher den innersten Kern des Polizeistaates bildet und in den Schriften der hervorragenderen und edlen Vertreter dieser Richtung den Leitstern bildet, vorgedacht, nämlich daß das Wohl des Einzelnen die Voraussetzung des allgemeinen Gedeihens und wiederum das allgemeine Wohl die Vorausseßung für die Entwickelung des Einzelnen bildet? Sonach ist der Einzelne verpflichtet, sich selbst zu vervollkommnen, um der Algemeinheit zu nüßen und diese wiederum ist verbunden, die mangelnde Kraft des Einzelnen zu stärken.

Diese bei den Autoren des Polizeistaates fast wörtlich wiederfehrenden Säße enthalten unseres Erachtens die Grundlage für den Wohlfahrtstaat; auch in der Richtung, daß sie den Fürsten

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