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III.

Entstehung der Verwaltungslehre als Wissenschaft.

1. J. . . von Justi.

An jenem Punkte, an welchem sich die Verwaltungslehre zur selbständigen Wissenschaft zu entwickeln beginnt, ist Joh. Heinr. Gottl. von Justi in erste Linie zu sehen. Wohl hatte Justi hierin Vorgänger; er aber steht jedenfalls im Brennpunkte jener Bewegung, durch welche sich die Verwaltungslehre als selbstständige Lehre abschied und kann sonach als der Vater der Verwaltungslehre bezeichnet werden.

Justi wird häufig genannt, oft auch übersehen, selten richtig gewürdigt. So wird unseres Erachtens Roscher der eigentlichen Bedeutung Justi's nicht völlig gerecht, und zwar vor allem nicht in seiner „Geschichte der Nationalökonomik,“ wo er ihn schlechtweg einen „Buchmacher“ nennt, wenn er auch seine Verdienste nicht ganz verkennt. Roscher hebt tadelnd hervor, daß Justi sich selbst ausschreibt, literarische Arbeiten Anderer nicht berücksichtigt und ein maßloser Vielschreiber ist. Viel davon ist richtig, liegt aber theils in den Zeitverhältnissen, theils in den Umständen begründet, unter welchen Justi gelebt. Damals war der Encyklopädismus, wie wir schon oben hervorhoben, an der Tagesordnung. Dazu kam Justi's etwas unstäte Art und seine universelle Begabung. welche ihm auf vielen Gebieten immerhin Beachtenswerthes zu leisten ermöglichte. Und hat Moser nicht 600 Bände geschrieben?!

Ebenso wenig läßt Roscher in seiner Abhandlung über „Zwei sächsische Staatswirthe im 16. und 17. Jahrhundert“ (Archiv für die sächsische Geschichte Bd. 1 S. 361 ff.) oder in dem speciell Justi gewidmeten monographischen Auffage (im Archiv für die sächsische Geschichte Bd. 6 S. 76 ff.) diesem vollkommene Gerechtigkeit widerfahren. Speciell in der ersten dieser beiden Abhandlungen hebt er bedauernd hervor, daß Justi „persönlich mit einem Manne wie Seckendorff nicht verglichen werden kann“. Roscher spielt hier auf den häßlichen Fleck an, welcher auf Justi's Charakter ruht, indem ihm Malversationen mit Staatsgeldern imputirt wurden, in Folge welcher er in Küstrin geendigt. Wenn wir nun auch ohne diese Bemakelung Justi's ihn persönlich nicht mit Seckendorff vergleichen würden, weil Seckendorff's Wesen ein ganz ungewöhnlich hochveranlagtes gewesen sein muß, so begrüßen wir es doch mit der größten Befriedigung, daß Inama-Sternegg von Justi den störenden Schatten, welcher über dessen Persönlichkeit gelagert war, verscheuchte1). Inama bringt hier ganz neue und wohlverläßliche Anhaltspunkte zur Beurtheilung, speciell der persönlichen Eigenschaften Justi's bei, welche sowohl Roscher's Bedauern über Justi's Privatleben, als auch die in der »Nouvelle Biographie générale« (herausgegeben von M. M. Firmin Didot frères, vol. 27 p. 290 s.) ausgesprochenen Anschuldigungen zu entkräften geeignet sind. Die Behauptung: »il fut destitué pour détournement de deniers à lui confiés« ist heute nicht mehr zu halten, nachdem Inama erwiesen, daß Justi „nie betrügerisch, aber immer ein schlechter Hauswirth“ gewesen. Diese mehr den Menschen als den Mann der Wissenschaft charakterisirende Angelegenheit sei von uns nicht weiter verfolgt. Wir müssen vielmehr Roscher wiederum darin Recht geben, daß weder Seckendorff noch Justi eine Wissenschaft geschaffen haben. So weit hat es keiner von Beiden gebracht, aber den

1) Siehe Allgemeine deutsche Biographie“ Bd. 14 S. 747 ff.

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noch hat Seckendorff zuerst in Deutschland über Verwaltung nachgedacht und Justi dem Gedanken einer Verwaltungslehre Bahn gebrochen, wenn er diese auch noch nicht vollkommen geschaffen haben konnte. Mit der Constatirung, daß Justi eine „Wissenschaft“ nicht geschaffen, ist es eben nicht abgethan, vielmehr muß man, um seine Bedeutung wirklich hervorzuheben, sagen, daß er die systematische Behandlung des wüsten Gebietes der Polizeiwissenschaft zum ersten Male vollführt habe. Diesen Ansah zur wahren Wissenschaft mehr war es wohl nicht geschaffen zu haben, kann man Justi gerechterweise nicht absprechen. Daß Roscher dies nicht gethan, mag wohl auch damit zusammenhängen, daß er eben die Verwaltungslehre nicht als selbständige Disciplin in sein System aufgenommen hat, sondern nur eine Volkswirthschaftspflege kennt.

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Roscher und mit ihm viele Beurtheiler Justi's haben diesen Autor der Hauptsache nach darauf hin geprüft, ob er „Mercantilist" gewesen oder nicht, eventuell wie weit er in dieser Hinsicht gegangen. Die allbekannte Eintheilung der Wirthschaftsgeschichte, wie sie gang und gäbe, ist so bequem, daß man sich nur schwer von dieser Dreitheilung losmachen kann, obwohl gerade der Autor der Geschichte der englischen Volkswirthschaftslehre“ selbst Bresche in diese Schablonenhaftigkeit gelegt hat. Eben weil auch Roscher Justi zumeist auf seinen „mercantilistischen“ Gehalt hin prüft, hat er — wir sagen dies mit aller schuldigen Achtung vor Roscher's umfassendem Wissen und mit aller schuldigen Einsicht in die eigene Inferiorität Justi's Ansichten zu sehr zerpflückt und kein einheitliches Bild dieses bedeutenden Mannes und seiner wissenschaftlichen Leistungen gegeben. Man sieht es seinen Erörterungen an, daß er Justi nicht sympathisch und liebevoll gegenübersteht. Allerdings hat Roscher nie eine Geschichte der Verwaltung und ihrer Lehrer schreiben wollen, aber es wäre gerade an ihm gewesen, nicht bloß Justi's Ansichten über Geld= und Münzwesen, über Bevölkerung und Handel u. s. w. in ziemlich unverbundener Weise neben einander zu stellen, sondern

Marchet, Verwaltungslehre.

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gerade dessen größtes Hauptverdienst hervorzuheben, welches in der Anbahnung der systematischen Auffassung der Verwaltung als Ganzes besteht. Roscher vertheidigt wiederum Justi1) gegen den von Heeren ihm gemachten Vorwurf, er sei der classische Vertreter des reinen Mercantilismus, indem er einfach sagt, daß diese Auffassung und Beurtheilung Justi's „ganz falsch“ ist und höchstens von seiner „Staatswirthschaft“ gelten könne.

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Ein mit Heeren zusammentreffendes ungünstiges Urtheil gibt A. Held über Justi ab2), den er zwar „den hervorragendsten vollständigsten Vertreter der cameralistischen Richtung“ nennt, ihm aber dabei imputirt, daß „er (Justi) in Bezug auf die Handelsbilanz sogar besonders weit zurück sei, indem ihm das Geld nicht nur als Mittel zur Belebung des Verkehres nothwendig erscheint,. sondern geradezu Endzweck des Verkehres ist“; er spricht von der fast vormercantilistischen Ansicht", nach welcher Justi auf den Bergbau sehr großes Gewicht lege und den Betrieb von Edelmetall-Bergwerken selbst mit Verlust verlange, constatirt „rohen, ganz unmodificirten Mercantilismus“, welcher bloß den auswärtigen Handel für fähig erklärt, den Reichthum eines Landes zu vermehren, behauptet, daß Justi „das Geld für den Endzweck alles Handels halte“ u. s. w. Abgesehen von der Einseitigkeit dieser Beurtheilung, welche sich nur auf Geld und Handelsbilanz erstreckt und Justi's Wirken sonach bei weitem nicht erschöpft, ist diese Beurtheilung auch eine ganz schiefe und wird nur dadurch erklärlich, daß Held eben nur ein einziges Werk Justi's, nämlich dessen Staatswirthschaft“ benüzt zu haben scheint.

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Inama) hebt hervor, daß Justi's „Staatswirthschaft“ auf mercantilistischem Boden stehe, während seine späteren Schriften die Mängel der Staatswirthschaft“ nicht mehr theilen. „In seinen späteren Schriften aber ist der Einfluß Montesquieu's

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1) Im Archiv f. d. sächs. Gesch. Bd. 6 ex 1868.

2) Carey's Socialwissenschaft und das Mercantilsystem.

3) Allg. Deutsche Biographie Bd. 14: Justi.

und der Encyklopädisten mächtig zum Durchbruch gekommen und Justi bezeichnet in denselben mehr den Anfang physiokratischer als die Herrschaft mercantilistischer Lehrmeinungen." Inama hebt noch, voll anerkennend, Justi's Antheil an der Bauern-Emancipationsbewegung hervor (während Roscher in seinem Essay über Justi zwar davon Erwähnung thut, aber nicht ein Wort der Billigung hinzufügt) und opponirt sonach auch entschieden dagegen, Justi einfach mit dem Worte „Mercantilist" charakterisiren zu lassen. So sehr wir glauben, daß dies richtig ist und so sehr wir dem Grundtone der ruhig abwägenden Ansicht Inama's, daß Justi zwischen Mercantilismus und Physiokratismus stehe, ja eher den Beginn der physiokratischen Lehren bezeichne, zustimmen, so scheint es uns doch richtiger, überhaupt davon abzustehen, Justi unter das Richtmaß eines der geläufigen drei Systeme zu zwingen. Justi paßt weder unter die Mercantilisten, noch können wir uns überreden, ihn als wirklichen Vorläufer des Physiokratismus anzusehen. Inama erkennt Justi's Bedeutung im Uebrigen in einer uns völlig homogenen Weise.

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L. v. Stein gebührt das Verdienst, Justi gewissermaßen wieder entdeckt“ zu haben, sowie das weitere Verdienst, ihn an seine richtige Stelle gerückt, d. h. für die Verwaltungswissenschaft reclamirt zu haben. Inama geht in derselben Richtung, wenn er Justi's Hauptbedeutung auf dem staatswissenschaftlichen Gebiete liegend findet und constatirt, daß er zwischen der abstracten Schule Wolff's und der rein nüchternen Cameralistik vermittelte und so eine neue Richtung zur Geltung brachte, welche ganz vom realen Boden der Thatsachen ausgehend, doch das Ganze des Staats- und Volkslebens als eine innere Einheit zu erfassen strebte.

Kauz1) betont zwar, „daß Justi das Mercantilsystem in Deutschland zuerst in wissenschaftlicher Form dargestellt“ habe,

1) Theorie u. Gesch. d. Nat.-Oek. Bd. 2 S. 293.

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