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fügt aber auch hinzu, daß Justi „überhaupt das erste systematische Werk über Volks- und Staatswirthschaft in Deutschland geliefert habe" und rühmt ihm nach, daß er „die leider so lange vernachlässigte Wissenschaft der Oekonomie als einen der wichtigsten Zweige der menschlichen Erkenntniß bezeichnet“. Daß weder Justi noch die um ihn gruppirten Cameralisten einfach mit dem mercantilistischen Maßstabe gemessen werden dürfen, beweist schon die bloße Thatsache, daß sie Alle nicht allein Wirthschaftspolitik betreiben, sondern weit darüber hinaus alle Vorbedingungen der Entwickelung des Volkes überhaupt in den Kreis ihrer Erörtcrungen ziehen. Sie sprechen nicht bloß über Geld und Handel, Manufacturen und Bevölkerung, sondern über Religion und Verfassung, über Unterricht und Gesundheitswesen u. s. w., kurz über Dinge, die den „Mercantilisten“ als solchen nicht interessiren. Gerade deshalb sind ja diese Cameralisten Vorläufer der Verwaltungslehre.

Vollauf erkennt auch Inama gerade diese Bedeutung Justi's: „Justi ist der erste Systematiker der Staatswissenschaft und die in neuester Zeit gleichsam als Encyklopädie der praktischen Politik gepflegte Verwaltungslehre hat in seiner Polizeiwissenschaft einen vollgültigen Vorläufer". Aus diesem Grunde überragt Justi seine Vorgänger und die meisten seiner Zeitgenossen und Nachfolger und inaugurirt eine neue wissenschaftliche Etappe. Hätte er nichts Anderes gethan, als daß er gewisse „mercantilistische“ Ideen vorbrachte, corrigirte und ausgestaltete, so hätte man sich nicht neuerlich mit ihm zu befassen. Weil er aber eine umfassende Auffassung des Staates bewies und eine wissenschaftliche Systematik anbahnte, deshalb ist es Justi werth, daß man dann, wenn man die Geschichte der Verwaltung und ihrer Lehre in Deutschland zu skizziren versucht, gerade ihn an einen hervorragenden Punkt stelle.

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In Aretin-Rotted's Staatsrecht der constitutionellen Monarchie" (Bd. 1 S. 51 Anm. 2) wird die staatswissenschaftliche Bedeutung Justi's mit den Worten anerkannt: „Unter den

deutschen Schriftstellern verdient besonders v. Justi eine Erwähnung, der in dem Buche „Die Natur und das Wesen der Staaten" die freisinnigsten Grundsäge entwickelt hat“.

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Am wenigsten gerecht ist Mohl gegen Justi, indem er seiner in der Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften" (Bd. 3 S. 471) überhaupt nur ein Mal Erwähnung thut und ihn da wegen seiner Schwärmerei für die Bevölkerung tadelt. Mit dem Saße aus Justi, daß „ein Staat nie zu viele Einwohner haben könne“. den Justi noch dazu nicht in dem unvernünftig populationistischen Sinne gemeint hat, wie ihm Mohl imputirt, ist denn doch Justi's Bedeutung und Stellung in der Geschichte der Wissenschaften auch nicht annähernd charakterisirt oder gar erschöpft.

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Von den neueren Werken, in welchen die Geschichte der Staatswissenschaften einen Platz gefunden, enthält H. Eisenhart's Geschichte der Nationalökonomie“ (1881) nichts über Justi speciell, was nach der ganzen Anlage dieses Werkes, das sich nicht mit der Wiedergabe der Ansichten einzelner Autoren, sondern mit einer kritischen Darstellung der wirthschaftlichen Gesammtauffassung der einzelnen Zeitepochen abgibt, völlig gerechtfertigt erscheint.

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In Schönberg's Handbuch der politischen Oekonomie (1882 Bd. 1 S. 63 ff.) erklärt Scheel, daß Justi's Arbeiten unter den bemerkenswerthesten Werken, die den in jener Periode so viel erörterten Fragen der Handelsbilanz sich zuwenden, einen hervorragenden Plaz einnehmen“.

In den mehr allgemein gehaltenen Literaturgeschichten und Geschichtswerken findet Justi fast nie Würdigung, ja nicht einmal Erwähnung.

Raumer fennt Justi nicht, ebenso wenig Hettner, der nur Sonnenfels citirt. Hettner bekundet übrigens tiefes Verständniß für die Richtung der damaligen Zeit, wenn er (III. 2. S. 368), allerdings nicht erschöpfend, weil er z. B. Bob und Berg übersieht, sagt, daß es „nur zwei deutsche Schrift

steller im 18. Jahrhundert gab, welche durch die selbständigen und abweichenden Verfassungen und Zustände der Ländergebiete, denen sie angehörten, außerhalb der allgemeinen Strömung des aufgeklärten Despotismus standen. Es war Isaac Iselin in Basel und Justus Möser in Osnabrück."

Will man eines Mannes geschichtliche Bedeutung erkennen, so muß man wohl auch darnach fragen, ob die von ihm vertretenen Ideen schließlich einen Erfolg erzielt haben. Und da muß man zugeben, daß Justi für die Verwaltungsidee eine tüchtige und freiheitliche Basis geschaffen habe und daß sich Deutschland von diesem Punkte aus seine politische Mündigkeit eroberte. Darum ist es nicht richtig, wenn Hettner behauptet, daß die Nothwendigkeit lebendiger Mitwirkung des Volkes, d. h. die Nothwendigkeit verfassungsmäßiger Bürgschaften kaum geahnt wurde oder, da man sich die verfassungsmäßige Beschränkung nur in der Form der veralteten Ständevertretungen denken konnte, als überwundener Standpunkt dünkelhaft verworfen wurde. Man kannte und wollte politische Freiheit nur als fürstliches Gnadengeschenk, nicht als unverbrüchliches Menschenrecht.“

Gerade Iselin und Möser haben in dieser Hinsicht nichts geleistet, während schon Justi's Enthusiasmus für die englischen Zustände und für Montesquieu das Gegentheil von Hettner's Behauptung erweist. Es hieße aber einerseits zuviel begehren von einem Manne, wenn Justi damals in Deutschland, noch dazu ohne philosophische Basis, eine Verfassung verlangt hätte, anderseits wäre ein solches Verlangen, bevor die rechtsbildenden Kräfte umgemodelt worden, auch ganz unwirksam geblieben. Und haben Iselin und Möser oder hat schließlich Justi den Erfolg erzielt? Gerade das schrittweise Zerbröckeln der grundherrlichen und ständischen Verfassung, das ad absurdum-Führen derselben hat den Boden für die verfassungs- und geseßmäßig begrenzte Verwaltung vorbereitet.

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Eichhorn kommt weder in seiner „Literärgeschichte“, noch in „Geschichte der Wissenschaften in den lezten 3 Jahrzehnten“

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auf Justi zu sprechen; ebenso wenig finden wir Justi's Bedeutung irgendwie erkannt oder auch seiner nur erwähnt in den Werken von Warnkönig, Wachler, Weißel. Der tüchtige Ompteda fennt und achtet auch Justi, obwohl dieser dem Manne des Völkerrechtes natürlich nicht nahesteht. Er bespricht (a. a. D. S. 484) unter den Schriften von den Rechten, die aus der Freiheit und Unabhängigkeit der Völker erwachsen“, Justi's Erörterung derFrage, ob die Protestationen der auswärtigen Monarchen wider eine auf die Wahl gebrachte Person zum Beherrscher eines Wahlreiches in dem Natur- und Völkerrechte einigen Grund haben“, und citirt endlich, wenn auch als nicht bedeutsame Schrift, jene über die „Chimäre des Gleichgewichtes in Europa“.

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Die ungeheuere Bedeutung, welche Justi für seine Zeit hatte, geht deutlich daraus hervor, daß alle Cameralisten neben und nach ihm ihn benüßten und ausschrieben, kurz, auf seinen Füßen standen; wenige bekämpften ihn. Man kann sagen, daß Justi maßgebend oder wenigstens bedeutsam geblieben ist bis Mohl's Polizeiwissenschaft" oder mindestens, bis durch Berg eine Wendung eintrat. Mit Ausnahme Sonnenfels', der im Allgemeinen bedeutender ist als Justi, aber nach ihm kommt, steht keiner der Cameralisten auf der Höhe Justi's; auch Biel= feld nicht, obwohl Kaug1) findet, daß man bei Bielfeld „einer selbständigen Betrachtung der ökonomischen Dinge begegnet“. Es ist nicht zu leugnen und wird von uns später nachgewiesen werden, daß Bielfeld's wirthschaftliche Ansichten oft über jenen Justi's stehen, doch erreicht Ersterer nicht Justi's Universalität und systematische Begabung. In diesem lezteren Punkte stellen wir, abgesehen von der zeitlichen Priorität, welche immer Justi gewahrt bleiben wird, nicht einmal Sonnenfels über Justi.

Um nur einige Namen anzuführen, so ruhen ganz entschieden auf Justi, oft mit einer ins unbegreifliche gehenden Ausnüßung seiner Schriften: Hoffer, Rößig, welcher übrigens

1) a. a. D. S. 293.

tief unter Justi steht, Jung, Lamprecht, Rüdiger, Pfeifer, Roth; Moser und Möser citiren Justi häufig. Dithmar1) gibt in vielem sehr tüchtige Ansichten kund und hat Justi gewiß viele Anregung geboten; doch arbeitet er ohne System und ohne Kritik und schreibt oft eigentlich nur die Wirklichkeit ab.

Wie Sonnenfels über Justi, der doch sein unmittelbarster Concurrent gewesen, gedacht hat, ist bekannt. Von bedeutenderen Gegnern ist vor allem der zu wenig bekannte und benüßte Bob zu nennen, mittelbar auch Berg, theilweise auch Scheidemantel, welcher aber, troh seiner theilweisen Gegnerschaft, Justi's Bedeutung doch dadurch anerkannte, daß er, wie bekannt, sein „Natur und Wesen der Staaten“ in zweiter Auflage mit commentirenden Noten herausgab, wobei er sich's allerdings nicht versagen konnte, manchen bedauernden Seitenblick auf Justi's Persönlichkeit zu werfen.

Um Justi's Bedeutung für die Systematik der Staatswissenschaften klar zu stellen, sind viele von Justi's Werken heranzuziehen. Wir wollen die wichtigsten anführen. Seine „Staatswirthschaft “2), ferner die „Grundsäge der Polizeiwissenschaft in einem vernünftigen auf den Endzweck der Polizei gegründeten Zusammenhang und zum Gebrauch der akademischen Vorlesungen abgefaßt“ (1. Aufl. 1756, 2. Aufl., nach welcher wir citiren, Göttingen 1759). Als umfangreiche Ausführung dieses Buches ist anzusehen und zu Justi's wichtigsten Werken zu rechnen „Die Grundveste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten oder ausführliche Vorstellung der gesammten Polizeiwissenschaft“ (2 Bde., 1760), endlich das „System des Finanzwesens, nach vernünftigen aus dem Endzweck der bürgerlichen Gesellschaften und aus der Natur aller Quellen der

1) Einleitung in die Oekonomie, Polizei- und Cameralwissenschaften. 2) Wir citiren nach der zweiten, 1758 erschienenen Auflage. Doch ist dieselbe von der ersten, deren Vorrede von 1755 datirt ist, wenig verschieden, weil Justi findet, daß man neue Auflagen nicht ändern dürfe, um die Besizer der ersten nicht zum Ankaufe der zweiten zu zwingen.

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