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haft, daß Seckendorff, wenn auch ganz unvermerkt und ohne jegliche Kampfesäußerung, diesen Kampf tüchtig mitgekämpft habe. Er hat Front gemacht gegen das Mittelalter, blieb dabei ein gläubiger Christ, hat aber den Staat begriffen und anerkannt und die Kirche zum Object der Verwaltung gemacht alles ruhig und ohne Aufsehen, aber tief und nachdrücklich.

3. Seckendorff's Verwaltung.

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Nachdem Seckendorff's Stellung gegenüber dem Naturrechte, sowie das für ihn entscheidende Verhältniß zwischen Religion und Verwaltung klargestellt ist, haben wir nunmehr uns jenem Gebiete zuzuwenden, auf welchem Seckendorff bahnbrechend gewirkt hat: seinen Ansichten über Verwaltung.

Zunächst will Seckendorff Ordnung schaffen und suchte dies für das „Reich“ dadurch zu erlangen, daß er die Centralgewalt stüßte und erklärte, daß der Fürst, der Territorialherr, nicht absolut sei, sondern dem Kaiser gegenüber gewisse Verpflichtungen habe. Die spätere Entwickelung gab Seckendorff nicht Recht; Justi vertheidigte den Kaiser nicht mehr.

Abgesehen von diesem Punkte, mit welchem sich Seckendorff nur ganz nebenbei beschäftigte, lag ihm am Herzen „die Aufrichtung guter Ordnung und Geseze für die Wohlfahrt und gemeinen Nugen des Vaterlandes“. Besonders wichtig erschien Seckendorff eine geregelte Rechtspflege. Ein Urtheil darf erst dann vollstreckt werden, nachdem ein ordentlicher Proceß abgeführt worden war“ 1), „der Landesherr muß genau Obacht geben, wenn er einen Zwang ausüben wollte“. Die Rechtspflege wird ausdrücklich als Verwaltungsaufgabe bezeichnet und die willkürliche Cabinetsjustiz des Fürsten verurtheilt. Von gleichem Gesichtspunkte geht allerdings z. B. schon Bodinus 2)

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1) F.-St. S. 188. Der Augsburger R.-Absch. 1654 handelt fast ausschließlich von Verbesserungen der Proceßführung.

2) a. a. D. S. 477 ff. IV. VI.

aus, wenn er verlangt, daß nicht der Fürst, sondern das Gesez richten soll; nur in sehr wichtigen Fällen darf der Herrscher rathen, aber nicht richten. Seckendorff fürchtet, daß, wenn die Rechtsführung nicht durch die Gerichte erfolge, der Zorn Gottes über das Land kommen werde. Auf dem Untergrunde von Seckendorff's Erörterungen über diesen Punkt sieht man den Gedanken wie Gold schimmern, daß die Rechtspflege auch nicht abhängen dürfe von Klassenwillkür, was Seckendorff wohl selbst, schon wegen seiner ständischen Gesellschaftsgliederung, nicht deutlich erkannt hat.

Der zweite Regierungszweck ist die Erhaltung des Friedens. Seckendorff nennt 1) den Frieden „nächst der Seelenwohlfahrt das edelste Kleinod und den höchsten Schaß eines Landes“. Krieg ist nur als „Gegenwehr“ zulässig. Troß seiner Zurückgezogenheit kann sich doch auch Seckendorff der Frage, welche Grotius so tief erregt, »an bellare unquam justum sit«, nicht ganz entziehen. Seckendorff schildert die Leiden des Krieges, die Belästigungen durch Einquartierungen u. s. w. eindringlich und erklärt, „der Krieg komme vom bösen Christenthum und daß die Obrigkeiten das Unvermögen der Unterthanen nicht verstehen oder glauben, und keine Proportion und Ordnung halten", d. h. die Kriege außer Verhältniß zur Kraft des Landes führen. Ein Krieg ist nur ein aus Noth zugelassenes Mittel wider unrechte Gewalt oder zur Strafe der Unbilligkeit, nicht aber ein Gewerbe, davon man reich werden könnte". Diese Stellen sind aber auch so ziemlich die Einzigen, welche bezeugen, daß die äußeren Ereignisse seiner Zeit nicht spurlos an Seckendorff vorübergeglitten sind. Seinen Gleichmuth haben sie ihm keinesfalls genommen.

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Auch bei Beurtheilung der Frage nach der Berechtigung des Krieges schlägt seine vorragende Neigung durch, Alles nach dem Maßstabe zu messen, ob Etwas dem Christenthume gemäß ist oder nicht. Beim Kriege verneint er dies; ebenso darf man

1) Chr.-St. II. X, 1.

aus demselben Grunde keine fremden Kriegsdienste nehmen. Er spricht sich ferner1) für eine allgemeine Wehrpflicht aus, indem er sagt, die allergewisseste richtigste und löblichste Art zu kriegen“ ist diejenige, bei welcher alle Wehrfähigen auch Soldaten sind, und fügt, gewissermaßen zu seinem eigenen Troste, hinzu, daß auch die Soldaten nicht unchristlich zu sein brauchen 2).

Als dritte Aufgabe der Verwaltung (Regierung) bezeichnet Seckendorff die Förderung der Wohlfahrt und wird als der Erste anerkannt werden müssen, welcher diesen Punkt in Deutschland so nachdrücklich und so umfassend vertreten hat: „Erhaltung und Vermehrung der Leute und ihres Vermögens“ 3). Ueber die Vermehrung der Bevölkerung denkt Seckendorff, wie über

1) Chr.-St. II. V, 4.

2) Roscher sagt hierüber (Gesch. d. Nat.-Oek. S. 390), daß es bei dieser Proposition „zweifelhaft ist, ob sie bei Seckendorff mehr ein Hängenbleiben an dem damals Veralteten oder eine Vorahnung der (damals noch sehr fernen) Zukunft heißen muß“. Wir glauben uns für die erstere Alter= native entscheiden zu sollen und stüßen uns hierbei einmal auf den oft erwiesenen Conservatismus Seckendorff's, welcher in diesem Falle, wie auch Roscher erwähnt, eine ungewöhnlich große Spanne Zeit zu überspringen gehabt hätte, um bis zur modernen allgemeinen Wehrpflicht zu gelangen, dann aber auch darauf, daß sich Seckendorff im „Christenstaat“ ganz klar und bestimmt gegen stehende Heere und ebenso deutlich für die alte Wehrverfassung ausspricht. Er schildert dieselbe ausführlich und stimmt ihr zu. Nach derselben hat nur der Adel, insbesonders der Ritterstand, Kriegsdienste zu leisten, die Bürgerschaft der Städte hingegen war allgemein wehrpflichtig und konnte je nach Bedürfniß einberufen werden. Das leibeigene Bauernvolk wurde vom adeligen Herrn als Gefolge benugt; später wurden aus diesen Knechten sog. „Einspännige“, welche sich selbständig anwerben ließen. Die Bauern wurden anfangs beim Ackerbau belassen und höchstens zum Schanzgraben-Aufwerfen benußt, erst später, als die Dörfer auch „,,bürgerliche Nahrung" trieben, wurden auch sie in die „Musterrolle“ eingereiht. Würde Seckendorff wirklich für allgemeine Wehrpflicht in unserem Sinne sein, so hätte er zugleich das Recht des Grundherrn erschüttern, resp. die Grundherrlichkeit beseitigen müssen, was weder seinem Sinne entsprach, noch damals auch nur angestrebt werden konnte. Jedenfalls ist Seckendorff sehr gegen Werbung, weil sich dabei „viel liederliches Gesindel_ansammelt“.

3) F.-St. S. 146. Locke's liberty and property !<

Marchet, Verwaltungslehre.

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Alles, maßvoll. Er verlangt dieselbe nicht ungestüm, obgleich nach dem 30 jährigen Kriege wohl Anlaß dazu gewesen wäre. Er sagt 1), daß „aus dem Christenthum und der christlichen Liebe“ die Pflicht der Obrigkeit entspringt, dafür zu sorgen, „daß die Unterthanen bei ihrer Nahrung und Gewerbe das Auskommen und alle mögliche Beförderung haben und ihre Anzahl sich eher vermehre als vermindere, weil aus der Menge wohlgenährter Leute der größte Schaß des Landes besteht“, und weiter sagt er in den Additiones zum „Fürstenstaat“ 2) vorübergehend: „An der Menge der Unterthanen ist das größte Glück des Regenten gelegen und solche sind der rechte Schat des Landes".

Seckendorff's christliche Wohlfahrtsidee zeigt sich in dem Saze, daß Jeder im Staate sein Auskommen haben müsse. Solche Aeußerungen, deren wir auch im Wohlfahrtstaate viele finden, sind aber nicht als der zusammengefaßte Ausdruck einer theoretischen Ueberzeugung aufzufassen, sondern sind gewissermaßen als Sentenzen anzusehen: Es soll jedem Menschen auf Erden möglichst wohl ergehen. So meinte natürlich auch Seckendorff nichts dem »droit au travail« Aehnliches, sondern dachte einfach, daß es noch sehr viele nüßliche Arbeit zu thun gebe, so daß Jeder, der wirklich arbeiten wolle, auch arbeiten könne oder daß man ihm wenigstens leicht Arbeit schaffen könne. Nicht um socialistische, theoretisch gefundene Lehrsäße, sondern um praktisch realisirbare, von humaner Tendenz getragene Wünsche handelt es sich; - das ist bei Beurtheilung des Socialismus im Wohl= fahrtstaate“, wie er sich uns noch oft aufdrängen wird, überhaupt nicht außer Acht zu lassen.

Seckendorff richtete seinen Blick wenig nach außen; die Periode, in welcher für Deutschland die Abgeschlossenheit gegen andere Staaten verlangt wurde, begann erst nach ihm. Darum

1) Chr.-St. II. XIII, 1.

2) Addit. ad cap. 8.

ist bei Seckendorff auch von der gewöhnlichen Ueberschäzung des Geldes noch keine Rede, er scheute sich nicht, „das Capital" zu besteuern 1), was den Späteren, z. B. Schröder, ein Verbrechen schien, er verlangt noch keine hohen Zölle als Regel und sah noch nicht im Handel die Hauptquelle der Wohlfahrt, sondern er arbeitete ruhig und stille in seinem Kreise, in seinem Lande an dessen Vervollkommnung, um so mehr, als dieses auch ohne künstliche Schranken zu seiner Zeit genügend abgeschlossen war. Wie wenig Seckendorff an das Ausland dachte, beweist z. B. die Thatsache, daß er sich die mächtige Verschiebung des Verhältnisses zwischen Gold und Silber, die im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts, nachdem das Verhältniß bis dahin durch das ganze 16. Jahrhundert und das erste Viertel des 17. Jahrhunderts stabil (11 u. 12: 1) gestanden hatte, in kaum mehr als einem Decennium auf etwa 15:1 sich vollzog, nicht zum Bewußtsein brachte. Er beschäftigte sich, wie schon erwähnt, überhaupt wenig mit dem Geldwesen 2), wohl deshalb, weil es sich damals zumeist um die Hebung der Production im Innern und um Beseitigung der ärgsten Schäden und größten Unordnungen handelte, weil der Verkehr überhaupt noch nicht lebhaft war und Deutschland keine Frankreich und England ebenbürtige Rolle spielte, für welche Länder das Geld zumeist als „Kraft in die Ferne" von Bedeutung war. Die Edelmetallproduction Deutschlands war Jahrzehnte hindurch stabil geblieben und sein Handel damals absolut unfähig, nach außen eine Rolle zn spielen, also

1) So spricht er z. B. im „Fürstenstaat“ (S. 341) von einer Steuer auf die „ausgeliehene Barschaft“. Siehe auch Addit. p. 264 s.

2) Nur im „Christenstaat“ (II. XII, 5) erwähnt Seckendorff der Münzverschlechterungen, welche er, wie Alles, auf religiöse Streitigkeiten zurückführt. Mißbrauch der Münzen verstoße gegen das Christenthum und rufe zugleich Waarentheuerung hervor. Nußen aus Münze könne man durch den „Schlägeschaz“ erreichen; es scheint Seckendorff, daß „8 auf 100 Erwerbs genug wären für die bloße Dargebung Bildnisses und Namens“ (!).

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