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Lebensunterhalt zu verschaffen, häufiger, endlich die Behebung der Staatseinkünfte leichter und ergiebiger. Darum ist jede Maßregel darauf hin zu prüfen: ist sie der Bevölkerung zuträglich, ist sie der Bevölkerung nachtheilig?" Sonnenfels selbst verwahrt sich1) gegen das Mißverständniß, als ob „er die Bevölkerung zum Endzweck des Staates mache" (wie ihm z. B. Lamprecht im „Versuch eines vollst. Syst. d. Staatslehre“ I § 125 imputirt). Er will die Wohlfahrt der Bevölkerung, hält aber das Anwachsen der Volkszahl und ihrer Wohlständigkeit für den Erkennungsgrund der Wohlfahrt und für ein wichtiges Förderungsmoment der Wohlfahrt.

Mißlich ist, daß Sonnenfels selbst den Ausdruck „Staatswissenschaft" in doppeltem Sinne gebraucht, einmal als die Wissenschaft von der Wahrung der äußeren Sicherheit, dann als Sammelnamen zur Bezeichnung aller vier, von ihm geschiedenen, Disciplinen. Er schreibt der Polizei sowohl präventive als repressive Aufgaben zu, also nicht bloß die Unterdrückung von Gefahren, sondern auch von bereits vollzogenen Thatsachen und bringt sie damit wieder nahe an die Justiz. Die Polizei hat dafür zu sorgen, daß die innere Sicherheit nicht gefährdet werde; ist dies dennoch geschehen, muß sie die Gefährdungen hindern, d. h. bestrafen. Die innere Sicherheit, der Gegenstand der Polizei, „ist der Zustand, wo die einzelnen Bürger nichts zu fürchten haben" (I. S. 59). Es handelt sich hierbei um die innere öffentliche und private Sicherheit. Die erstere umfaßt die Aufmerksamkeit auf den sittlichen Zustand der Unterthanen, die Mittel, einen hohen Begriff von der Gesezgebung zu erwecken (freiwillige Folgeleistung), endlich die Sorgfalt, die Privatkräfte des Staates in einem untergeordneten Ebenmaße zu erhalten (erzwungene Folgeleistung). Die zweite umfaßt die Fürsorge für die Sicherheit der Rechte, der Handlungen, der Personen, der Ehre und des Eigenthumes, ferner die Strafen, weiters jene Anstalten, deren Absicht

1) Handb. d. inneren St.-V. S. 107.

es ist, das physische Vermögen zur Vollführung jeder Uebelthat zu erschweren oder ganz zu vereiteln, endlich durch Anwendung dieser Anstalten bei ungewöhnlichen größeren Zufällen soviel als möglich die Folgen der lezteren zu verringern oder zu vernichten1).

Während früher Polizei und Verwaltung ziemlich identisch war und die Commerzien- und Finanzwissenschaft eigentlich nur ihrer größeren Wichtigkeit halber ausgeschieden wurden, geschieht dies bei Sonnenfels aus principiellen Motiven und bedeutet die Polizei eigentlich Sicherheits-Polizei im großen Stile, umfaßt Gesezgebung und Executive, sowie Justiz auf dem Gebiete der Sicherheits-Polizei. Eine Klarheit im System ist nicht zu erkennen und nur in der Viertheilung der Staatswissenschaften, welche Justi entschieden angebahnt, sowie darin, daß bei Sonnenfels der vage Wohlfahrtsstaat einigermaßen an Geltung verliert, endlich darin, daß die Polizei nicht mehr die ganze Verwaltung bedeutet, vermögen wir die systematische Bedeutung Sonnenfels' zu erkennen.

2. Begriffsbestimmung der „Polizei“. Durchdringen der

,,Staatsidee".

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Nachdem von Justi der Begriff der Polizeiwissenschaft“ datirt werden muß, so ist es wohl entsprechend, sowohl seine Ansichten über die „Polizei“, als auch diejenige der Späteren über diesen Punkt kennen zu lernen, weil wir hieraus den Entwickelungsgang, welchen die leitenden theoretischen Anschauungen genommen haben, am besten erkennen werden.

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Unter Polizei im weiteren Sinne versteht Justi (nach der Polizeiwissenschaft“) „alle Maßregeln in inneren Landesangelegenheiten, wodurch das allgemeine Vermögen des Staates dauerhaft begründet und vermehrt, die

1) Sonnenfels hat im Handb. d. inneren St.-V. leider nur die beiden ersten Punkte behandelt und auch hierin häufig schon in den Grundsäßen der Polizei Vorgebrachtes wiederholt. Die versprochenen Folgebände sind nicht erschienen.

Kräfte des Staates besser gebraucht und überhaupt die Glückseligkeit des Gemeinwesens befördert werden kann“. Es gehört hierher die Förderung der Landwirthschaft, der Commerzien, Verwaltung der Bergwerke, des Forstwesens u. s. w., „insoferne die Regierung ihre Vorsorge darüber nach Maßgebung des allgemeinen Zusammenhanges der Wohlfahrt des Staates einrichtet".

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Polizei im engeren Sinne umfaßt alles, was zur guten Verfassung des bürgerlichen Lebens erfordert wird“, daher Ordnung unter den Staatsbürgern zu erhalten, Maßregeln zur Bequemlichkeit des Lebens und Beförderung des Nahrungsstandes; endlich Polizei im engsten Sinne umfaßt „die Reinlichkeit und Zierlichkeit der Städte, die Erhaltung der guten Zucht und Ordnung und Aufsicht auf die Lebensmittel und Handwerke, gerechtes Maß und Gewicht“ u. s. w. Justi behandelt die Polizei im weiteren Sinne“ des Wortes.

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An diese Dreitheilung schließt sich die dreifache Bedeutung der Polizeigeseze an1). Die Polizei im weiteren Sinne veranlaßt „alle Geseze und Einrichtungen eines Staates, um sein allgemeines Vermögen und innerliche Kräfte zu vermehren und dieselben thätig und mit dem gemeinschaftlichen Besten übereinstimmend zu machen"; man nennt sie Landes-Polizei. Die Polizei schlechtweg umfaßt „alle Geseße und Maßregeln der Regierung, um die zum bürgerlichen Leben erforderliche gute Zucht und Ordnung zu erhalten, den Nahrungsstand blühend zu machen und mit der Wohlfahrt der einzelnen Familien und dem gemeinschaftlichen Besten in genauen Zusammenhang zu bringen"; endlich die Stadt-Polizei behandelt die Reinlichkeit und Ordnung in den Städten, kurz die Vorschriften über die innere Gebarung der Städte.

Justi will Harmonie der Klassen und den höchsten Grad der moralischen und materiellen Vollkommenheit, indem er über Alle den Begriff des Staates mit seinen

1) Natur u. Wesen d. St., Kapitel: Polizeigeseße.

Verwaltungszwecken stellt. Durch Pflege der Religion, Sittlichkeit und Tugend erreicht er die moralische Vollkommenheit, durch Befreiung des Bauernstandes, Hebung der landwirthschaftlichen und gewerblichen Production und Pflege des Handels die materielle. Er sezt an die Spize den Landesfürsten, welcher den Staat repräsentirt und Geseze gibt, welche der Unterthan zu befolgen verpflichtet ist, schließt den Staat nach außen ab, um ihn im Innern zu kräftigen und schafft sich die Mittel zur Verwaltung durch ein geregeltes Finanzwesen.

Die Absolutheit des Fürsten, die blinde Unterthänigkeit des Unterthanen, die völlige Abschließung des Staates nach außen, kurz das polizeiliche" Reglementiren war bei Justi allerdings vorhanden, aber nicht in einem übermäßig hohen Grade ausgebildet. In der „Staatswirthschaft“ findet Justi noch1), daß der Staat, d. H. der Fürst anordnen dürfe, was er wolle; der Gehorsam der Unterthanen sei unbedingt. Der Unterthan habe nur das Recht der Vorstellung, er müsse auch dann gehorchen, wenn der Fürst, nach Ansicht des Unterthanen, die Grenze seiner Machtvollkommenheit überschreitet, weil der Herrscher geheime Absichten und Beweggründe haben könne, welche der Unterthan nicht verstehe, die ihm aber zum Heile gereichen. Nachdem aber der Herrscher nur für die materielle Wohlfahrt des Unterthanen zu sorgen habe, brauche der Unterthan Befehle, welche über diese Grenze hinausgehen, nicht mehr zu befolgen, also Befehle, welche auf die Octroyirung eines Religionsbekenntnisses gehen und in die Gewissensfreiheit des Unterthanen eingreifen, ebenso Befehle, welche wider die moralischen Pflichten, wider den Charakter, wider die Tugend gehen, brauchen nicht befolgt zu werden; ebensowenig Befehle, durch welche der Herrscher als Feind der Allgemeinheit auftritt. Allerdings fügt Justi hinzu, daß der Unterthan in der Verweigerung des Gehorsames sehr vorsichtig sein und lieber außer Landes gehen

1) Justi steht überhaupt in der Staatswirthschaft" am tiefsten.

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müsse, als den Gehorsam zu verweigern1); andrerseits empfiehlt er dem Fürsten, seine Befehle wohl zu überlegen und sie so einzurichten, daß man sie nicht mit Mißvergnügen befolge; außerdem müssen die Befehle deutlich, wohlbegründet und gehörig publicirt sein. Je mehr Justi unter den Einfluß Montesquieu's kommt und je mehr er sich in das Studium der englischen Verhältnisse vertieft, desto weniger Raum gewährt er dem Absolutismus und in desto schärferer Weise stellt er die Staatsidee, in dem Gewande des allgemeinen Wohles, über den Fürsten. Nur gute Geseze habe man zu befolgen, schlechte seien unverbindlich, er sucht nach „Grundgesezen“, von welchen z. B. Horn2) behauptet, sie seien keine »verae leges«, weil sie nicht der Herrscher erlassen habe, kurz er beschränkt den Absolutismus, soweit das ohne wirkliche Verfassung möglich ist.

Als ein Vorgänger Justi's, welcher nur nicht dessen Universalität und Systematik besißt, aber immerhin ein würdiger Vorläufer genannt werden muß, ist Dithmar3) anzusehen. Er definirt: „die Polizeiwissenschaft lehrt, wie das innerliche und äußerliche Wesen eines Staates, zu allgemeiner Glückseligkeit, in guter Verfassung und Ordnung zu erhalten und demnach von der hohen Landesobrigkeit dahin zu sehen sei, daß ihre Unterthanen nicht nur bei volkreicher Anzahl, gottesfürchtigen, christlichen, gerechten, ehrbaren und gesunden Leben und Wandel mögen erhalten, mithin derselben Nahrung und Ueberfluß an zeitlichen Gütern, durch florissante Land- und Stadtgewerbe befördert, sondern auch ein Land mit wohlangelegten Städten, Flecken und Dörffern ange= baut und alles in guter Verfassung erhalten werde“. Die Polizeiwissenschaft ist daher ein Theil der Staatsflugheit „kann aber füglich zugleich mit den Oekonomie- und Cameralwissenschaften wegen der genauen Verknüpfung mit selbigen gelehret werden“.

1) wie Seckendorff, Pufendorf, Wolff und viele Andere.
2) a. a. D. S. 603.

3) Einleitung in die Dekonomie-, Polizei- und Cameralwissenschaften (2. Aufl., besorgt v. Schreber) S. 18 ff., S. 152.

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