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in Bezug auf den Begriff der Tugend wirklich großer Inconsequenzen schuldig. In „Natur und Wesen der Staaten" nennt er die Tugend die Haupttriebfeder des Staates und verlangt deshalb die Hebung des sittlichen Zustandes der Unterthanen, meint also mit Tugend offenbar die sittliche Tugend. In der Grundveste (II § 165 ff.) spricht er wiederum von der bürgerlichen Tugend, welcher jede Regierungsform benöthige, und polemisirt hierbei scharf gegen Montesquieu, welcher die Tugend von der Monarchie ausschließt. Die bürgerliche Tugend definirt Justi als „Handlungen, welche mit den Geseßen übereinstimmen“, hält aber diesen Begriff nicht fest, sondern vermischt ihn wieder mit dem der sittlichen Tugend (z. B. Grundveste § 171/172) und erklärt in Uebereinstimmung mit seinem über dem Geseze stehenden Glückseligkeitsbegriffe, daß eine „wahre“ bürgerliche Tugend diejenige sei, welche wirklich mit dem allgemeinen Besten übereinstimme, nicht aber jene, welche mit fehlerhaften Gesezen" harmonirt. Also ist die Uebereinstimmung einer Handlung mit dem Geseze nur dann eine Tugend, wenn die Geseze mit dem allgemeinen Besten übereinstimmen. Hier liegt der von Bob getadelte Cirkelschluß wiederum vor Augen. Es folgt daraus, daß die bürgerliche Tugend nicht in der Befolgung der Geseze, sondern darin bestehe, daß man seine Handlungen mit dem allgemeinen Besten in Uebereinstimmung bringe und erhalte, obwohl er wieder ersteres in Natur und Wesen der Staaten" annimmt.

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Dadurch ist der Bürger eigentlich jedem Geseze gegenüber aufgefordert, zu beurtheilen, ob es mit dem allgemeinen Besten übereinstimmt oder nicht; so ist einerseits die Unbrauchbarkeit des Begriffes allgemeines Bestes" wieder einmal klar erwiesen, andrerseits der Weg zur geseßmäßigen Verwaltung absolut verrammelt und von Justi überhaupt gar nicht gesehen.

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Die Inconsequenzen Justi's in dieser Richtung sind aber keinesfalls derart, daß Bob zu seinem Urtheile berechtigt ist, denn in letter Linie ruht die politische Tugend auf der sittlichen,

und Bob sowie Justi legen Beide den größten Werth auf eine hochstehende Sittlichkeit der Unterthanen.

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Der Erkenntnißgrund der Staatsklugheit ist nach Bob (S. 149): Thue das, was das allgemeine Vermögen des Staates nicht nur vermehrt, sondern auch erhält.“ Bob leugnet nicht die Bedeutung der Bevölkerung, negirt aber, Sonnenfels gegenüber, daß mit dem Streben nach Bevölkerung der Staatszweck erfüllt sein könne; er gibt nur zu, daß die Bevölkerung ein sehr geeignetes Mittel sei, um zum eigentlichen Staatszweck Sicherheit und Wohlfahrt“ zu gelangen. Durch die Bevölkerung wird die äußere, durch kluge Veranstaltungen die innere Sicherheit unmittelbar befestigt“ (S. 59).

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Bob macht gegen die Ueberschäzung der Bevölkerung und das Streben, dieselbe übermäßig zu vermehren, sehr heftig Front und beruft sich dabei auf Süßmilch, daß nicht die Bevölkerung überhaupt, sondern nur die mögliche und den Nahrungsmitteln proportionirte Menge Unterthanen der Grund der Glückseligkeit, der Macht und Sicherheit, wie auch des Reichthumes sei“ (S. 171).

Er selbst erklärt, daß zu den besten Mitteln, durch welche die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates garantirt wird, das „Uebergewicht der Kräfte“ (S. 58) gehört, und weiters „je bevölkerter nur ein Staat und je klüger die besonderen Veranstaltungen, desto größer das Uebergewicht. Die Bevölkerung ist also eines der untrüglichsten Mittel zum Endzweck des Staates" (S. 59). Bob sagt nun weiter: Wie es nun im gemeinen Leben gewisse Moden der Trachten gibt, wodurch man sich zu unterscheiden sucht, so gibt es auch im Reiche der Gelehrsamkeit Modewörter, wodurch man den Ton des guten Geschmackes zu geben trachtet. Ein Wort dieser Art ist die Bevölkerung. Herr v. Sonnenfels hält es nicht nur für ein Mittel, die innere und äußere Sicherheit zu befestigen, er nimmt sie sogar für den Erkenntnißgrund der Staatswissenschaft und ihrer Zweige an“ (S. 61 Anm.). Sonnenfels hat wohl nie daran gedacht,

Marchet, Verwaltungslehre.

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daß eine grenzenlos vermehrte Bevölkerung dem Staate nüßlich sei, sowenig als das Justi oder wohl irgend ein anderer Cameralist gemeint haben wird. Sonnenfels begeht nur den Fehler, aus den gegebenen Zuständen ein Princip abzuleiten; daraus, daß Deutschland nach erschöpfenden Kriegen Mangel an Bevölkerung litt und weit vom Sättigungspunkte entfernt war, darf man kein wissenschaftliches Princip formuliren. Andrerseits übersehen Sonnenfels und die Anderen alle, daß ihr Streben nach Bevölkerung eigentlich ein Hysteron-Proteron ist. Nicht die Bevölkerung macht Sicherheit und Wohlstand, sondern umgekehrt diese ermöglichen die Bevölkerung und erzeugen eine wohlthuende Wechselwirkung unter einander. Aehnlich ergeht es vielen Mercantilisten mit dem Streben nach „Geld“, so daß dieses Verwechseln von Grund und Folge eine Eigenthümlichkeit des ganzen Zeitalters genannt werden darf. Bob kämpft also eigentlich gegen Ansichten, welche gar nicht vorhanden sind, hat aber doch das Verdienst, Sonnenfels gegenüber nachgewiesen zu haben, daß man zwar die Bevölkerung thunlichst vermehren müsse, sie aber nicht als „Erkenntnißgrund“ für die Polizeiwissenschaft verwerthen könne. Zugleich muß es immer anerkannt werden, daß sich Bob, um mit Roscher zu sprechen, von der mercantilistischen „Unart“, die Bevölkerung zu überschäßen, frei gehalten und zu einer Zeit, wo Manche gedankenlos die Zunahme der Bevölkerung zu fördern trachteten, daran erinnert zu haben, daß man auch im Guten Maß halten müsse.

Nach Bob hat die Verwaltung, wie bei Bielfeld, im Allgemeinen präventiv zu sein, weil ihr Hauptzweck die Sicherheit ist, dann aber hat sie nicht bloß negative, sondern auch positive Aufgaben zu erfüllen.

Weiters schließt er aus der Polizeilehre die Finanzwissenschaft aus (wie Iusti und Sonnenfels). „Die Wissenschaft, das gesammte Vermögen zu vermehren und zu erhalten, wird Polizei-, das gesammte Vermögen klug zu verwenden, Finanzwissenschaft genannt" (S. 113). Darum scheidet er Polizei

an sich und Handlungswissenschaft (Erhaltung und Vermehrung des Vermögens). Die Finanzwissenschaft hat z. B. nicht die Bestimmung, die Steuerobjecte zu bezeichnen, sondern sich nur mit der Behebung und Verwendung der Einkünfte zu befassen, die Staatsklugheit mit der Bestimmung der Gegenstände. Obwohl nicht erschöpfend, so beweist doch gerade die lezte Bemerkung, daß Bob das Verhältniß zwischen Verwaltung und Finanzwesen ziemlich klar ist.

Er scheidet also die Staatswissenschaft in Staatsrecht und Staatsflugheit. Das Staatsrecht ist ein äußeres und ein inneres. Das erstere nennt er Völkerrecht, das lettere bürgerliches Recht, welches wieder in ein bürgerliches im engeren Sinne und das peinliche Recht zerfällt, so daß er also Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht klar trennt, das Verhältniß zwischen öffentlichem und privatem Rechte aber nicht kennt. Die Staats klugheit ist ebenfalls eine äußere und eine innere. Die äußere ist die Statistik, die innere die Staatswirthschaft, welche in Polizei und Finanz zerfällt. Ein entsprechendes, klar gedachtes System, welchem Originalität nicht abgesprochen werden kann, geseßgebende und vollziehende Gewalt einander gegenüberstellt und sich frei hält von den geläufigen Schlagworten.

G. H. v. Berg (Handbuch des teutschen Polizeirechtes 1799-1804) bedeutet einen Wendepunkt in der Systematik des Verwaltungsbegriffes. Berg hat sicherlich die abstracte Rechtsstaatsidee Kant's in sich aufgenommen, mag aber andrerseits, obwohl sich aus Berg's Schriften kein positiver Anhaltspunkt hierfür beibringen läßt, durch die englische Nationalökonomie und die besonders durch Ad. Smith propagirte Entleerung des Staatsbegriffes beeinflußt worden sein; jedenfalls ist ein innerer Zusammenhang und eine zeitliche Coincidenz unleugbar, wenn auch vielleicht ein äußerer Zusammenhang nicht bestand.

Berg tritt entschieden gegen die Allmacht des Staates und die absolute Fürstenherrschaft auf, verwirft den vagen Begriff der allgemeinen Wohlfahrt ebenso wie Bob und scheint Trennung der geseßgebenden von der vollziehenden Gewalt zu wünschen. Hätte er sich darüber geäußert, so wäre Berg für die Verwaltung und ihre Lehre bahnbrechend geworden.

Troß der innigen Verbindung Berg's mit Kant hat er sich dessen Ideen doch nicht wirklich zu Nuze gemacht, sondern nur Einzelnes übernommen. Und gerade das Entscheidende für die Verwaltung, die Trennung der gesetzgebenden von der vollziehenden Gewalt, hat er bei Seite gelassen, hierin hinter Justi stehend, und sich mit dem Palliativmittel der möglichsten Reducirung der staatlichen Verwaltungsthätigkeit begnügt. Den Sah Kant's, daß nur jene Verfassung bleibend ist, wo das Gesetz selbst herrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der lezte Zweck alles öffentlichen Rechtes, der Zustand, in welchem allein Jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann“1), hat Berg entweder nicht gekannt oder wenigstens nicht auf die Verwaltung zu übertragen versucht, allerdings auch Kant nicht, dem das Gebiet der Verwaltung heterogen ist, wie auch seine Definition der Polizei, die er ganz nebenbei gibt, beweist 2).

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Berg nun fürchtet die „Polizei“, denn „in der Hand einer verkehrten Regierung wird die Polizei leicht die fürchterlichste Plage und ein gefährliches Werkzeug der Unterdrückung“.

Die Verwaltung soll sich negativ verhalten, obwohl sich Berg nicht bloß auf den negativen Schuß beschränkt. In der Hauptsache reagirt er gegen die beliebte positive Zwangsmethode

1) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (2. Aufl.) S. 242. Wir sind daher nicht der Ansicht Funk's, daß Berg ganz auf Kant ruht. 2) Auf dem ursprünglichen Grund-Ober-Eigenthumsrechte des Herrschers „beruht auch das Recht der Staatswirthschaft, des Finanzwesens und der Polizei, welch leztere die öffentliche Sicherheit, Gemächlichkeit und Anständigkeit besorgt“ (Met. A. S. 215). Wo ist da die Verwaltung ?

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