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Königsfrömmigkeit
in Shakespeare's Historien.

Von

Julius Cserwinka.

Er weiß den wahrhaft Frommen hoch zu ehren,
Doch Heuchelei vermag ihn nicht zu blenden,
Und seine Liebe für den wahren Eifer

Erfüllt sein Herz mit Schauder vor dem falschen.

Diese Molière'sche Lobpreisung des Sonnenkönigs Ludwig wäre wohl auf keinen Anderen mit größerem Rechte anzuwenden als auf Shakespeare.

Shakespeare ist oft mit den begnadetsten Malern der Renaissance verglichen worden; seine Gemälde hören nimmer auf, ihren überwältigenden Reiz auf Alle auszuüben, die sich in den Anblick versenken, treue Spiegelbilder sind sie vergangener Zeit, treue für alle Zeit geltende Spiegelbilder der Menschenseele. Wenn sie uns an Michelangelo's und Rubens' Erhabenheit, an Tizian's Farbenpracht, an Brouwer's Humor gemahnen, so dürfen wir in ihnen auch den frommen Künstlersinn erkennen, der die Meisterwerke Raffael's und Giorgione's so wundersam verklärt.

Aus dem unerschöpflichen Horte seines Geistes hat der große Brite in seinen Dichtungen reiche Schätze ausgeschüttet, der Wahrheit lauterstes Gold, der Schönheit köstlichste Perlen, Schätze, deren hohe Kunstvollendung der Bewunderung auch der fernsten Zukunft gewiß ist. In dieser Fülle aber, zwischen aller Pracht hervor, erschließen sich duftende Blumen, einem frommen Herzen entsprossen, die leuchtenden Blüthen zeugend von des Meisters tiefem sittlichen Gemüthe. Innige Religiosität in der Seele des mächtigsten Genius, nimmerwelkendes Blüthenleben im Schatzhause Shakespeare's!

Ueberall in seinen Werken tritt uns die Verehrung des himmlischen Herrschers entgegen, der das Unrecht zerbricht wie Scherben, dessen Gerechtigkeit keine vergoldete Hand erkaufen kann, vor dem kein Kunstgriff gilt; der keine Prüfung schickt ohne innere Nothwendigkeit, ohne Förderung zu schönem Ziele, der den wahrhaft Reuigen gnädig aufnimmt und das wirkliche Gebet erhört in wunderbarer Schickung. Isabella (Maß für Maß) fleht zu den Engelschören. droben, die Frevel Angelo's zu enthüllen, und ehe noch die Bitte ausgesprochen ist, hat der Falsche sich schon im eignen Netze gefangen; Hamlet ruft die Engel und Boten Gottes an, ihm beizustehn, und der Höchste sendet ihm den gesuchten Beweis durch die Vertreter der Kunst, der göttlichen. So wird Malcolm's Zuversicht nicht getäuscht: der Himmel setzt das Werkzeug an zur Fällung Macbeth's; so antwortet der blutgierigen Forderung Shylock's eine Gerechtigkeit, die nicht nach Schrift und Siegel fragt.

Ein ewiger Richter waltet über den Geschicken, die Shakespeare in seinen großen Tragödien vor uns entrollt, und unabweislich webt der Glaube an diesen Richter in der Brust seiner Geschöpfe, den Schuldlosen beglückend, den Dulder tröstend, den Schuldigen rastlos quälend; jene Anlage zur Religion, die in jedes Menschen Innern keimt, ist ihnen mitzugeben nicht vergessen. Figuren aus allen möglichen Gesellschafts- und Bildungsklassen, vom Herzog Gaunt bis zum zaudernden Mörder (in Richard III.), von der liebenden Helena (Ende gut, Alles gut) bis zum König Claudius, bieten interessante Beispiele hierfür. Die ruhige Sprache des geisteskräftigen Vertrauens auf die göttliche Liebe wie das Herzpochen der wahnsinnigen Furcht vor dem Gerichte hat der Meister erlauscht, und von beiden erzählt er uns in gluthvoller Schilderung, bis wir mit dem Frevler zittern und mit dem Reinen heiter aufschauen zum Licht.

Besonders eingehend sind in solcher Beziehung die Könige der Historien gezeichnet. Die gesalbten Vertreter der höchsten weltlichen Würde, denen die Religion segenspendend zur Seite walten soll, bieten reichlich Gelegenheit zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Fortbildung des Gottbewußtseins, aus welchem alle Frömmig keit, d. i. wahre Sittlichkeit, resultiert. Wenn wir von König Johann und König Heinrich VIII. absehen in welchen Dramen die Entwickelung religiöser Züge der Herrscher gegen andere Endzwecke des Dichters (Darlegung eines begeisterten Patriotismus neben Kennzeichnung römischer Politik im König Johann) und Rücksichtnahmen (in Heinrich VIII.) allzusehr zurücktritt so bildet die

verbleibende ununterbrochene Historienfolge des Lancaster- und YorkCyklus, diese klassische Sammlung von Königsschicksalen, ein anderes Buch der Weisheit, welches gleich jenem der Weisheit Salomonis an die Tyrannen» den Spruch zum Ausgangspunkte hat: «Habt Gerechtigkeit lieb, ihr Regenten auf Erden!» Gerechtigkeit beherrscht das All, Gerechtigkeit muß die Menschheit zu ihren höchsten Zielen geleiten. Alle Tugenden sind vereint in dieser einzigen; sie macht uns dem Schöpfer ähnlich. Handle gerecht, werde deiner Pflicht gerecht! -Ernst weist Shakespeare auf vergangene Zeit, auf das Beispiel der Großen, auf den Fluch des Unrechts, der Pflichtunterlassung: Parteien durchtoben die Gefilde und tränken die Saaten mit Blut, Bürgerkriege erfüllen die Straßen mit Höllenbreughel-Scenen, durch die Paläste schleichen Meuchelmörder das Reich ein wüstes Nesselfeld, und im Busen des Tyrannen stechende Dornen. Beredten Mundes aber preist unser Dichter die Gerechtigkeit auf dem Throne, wie sie mit tausend Segnungen über blühende Lande und glückliche Völker strahlt:

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Wahrheit wird ihre Amme; fromm

Und himmlisch Denken steht als Rath ibr bei;
Sie findet Lieb' und Furcht, der Ihren Segen;

Wie Korn im Sturm erzittern ihre Feinde,

Das Haupt gebeugt in Gram. Heil wächst mit ihr:
Zu ihrer Zeit verzehrt, was jeder baut,
In Sicherheit er unter eignem Weinstock,
Singt allen Nachbarn frohe Friedenslieder.
Gott wird wahrhaft erkannt; und wer ihr naht,
Der lernt von ihr den Weg vollkommner Ehre

Und sucht auf ihm die Größe, nicht durch Blut.

Zu neuem Leben erweckt Shakespeare-Prospero die Könige Englands. In der großen Halle zu Westminster thronen sie wieder, auf dem Haupte die goldene Krone, in den Locken das heilige Oel, in der Rechten den Stab Eduard's des Bekenners. Ihre Thaten, ihre Leidenschaften ziehen an uns vorüber, wir sehen ihr Streben, ihr Glück oder Elend, ihr Ende. Von ihren Lippen hören wir die Bekenntnisse religiöser Regung, wir schauen dabei in die Menschenherzen, die unter den Königsmänteln schlagen.

In legitimer Nachfolge regiert in England der jugendliche Richard II. Die Geschichte weiß von seiner Unklugheit, von der Unrechtmäßigkeit seiner Gesetze und Forderungen zu berichten, Willkür und Ueppigkeit bei hochgebildetem Kunstsinn sind die hervortretendsten Eigenschaften dieses Königs. Die huldvolle Majestät seines

Großvaters, Eduard's III., die fromme Ritterlichkeit seines Vaters, des schwarzen Prinzen, sind auf ihn nicht übergegangen. Von erbitterten, ehrgeizigen Großen gezwungen, muß er in der Blüthe seines Lebens der Krone entsagen, um endlich ein tragisches Ende zu finden, dessen Einzelheiten in geheimnißvolles Dunkel gehüllt sind.

Mit dem vorletzten Jahre der Regierung Richard's beginnt Shakespeare's Drama, gleich in den ersten Scenen die Hauptfigur charakteristisch zeichnend. Des Königs stolzes Bewußtsein von seines «Zepters Würde» und seinem «heilgen Blute», seine ganze Machthabung läßt uns sein selbstgefälliges, immerhin aber noch achtungforderndes und keineswegs direkt unsympathisches Wesen erkennen, bis sein Benehmen bei der Nachricht von der schweren Erkrankung seines Oheims Gaunt eine abstoßende Gemüthshärte verräth:

Gieb, Himmel, seinem Arzt nun in den Sinn,

Ihm augenblicklich in sein Grab zu helfen!

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Das darauffolgende «Amen» der Höflinge, denen dergleichen Wünsche des Königs nichts Ungewöhnliches zu sein scheinen, stempelt diese lieblose Aeußerung zur Parodie eines Gebets: ein grelles Streiflicht auf den Charakter des Herrschers, auf seinen Mangel an Gottesfurcht sowohl wie rein menschlicher Theilnahme an dem nahenden Erlöschen eines ehrfurchtgebietenden Lebens.

Aus der Rede des alten Gaunt (II, 1) erfahren wir von einem Morde, der auf Anstiften des Königs erfolgte, wir erfahren das Uebel der Regierung: «Gesetzes Macht dient knechtisch dem Gesetz.»

Dieser Einführung entsprechend entwickelt sich Richard's weiteres Verhalten. Die nur zu gerechtfertigte Warnung Gaunt's macht seinen beleidigten Stolz ungestüm aufwallen, er überschüttet den Sterbenden mit wildem Schelten; kein versöhnendes Wort widmet er dem für immer Scheidenden, keine Silbe der Trauer dem Hingeschiedenen, nur wie Befriedigung klingt es aus seinem Munde: «Er fiel wie reife Früchte.» Sein Sinn ist kalt und egoistisch, seine Seele jeder frommen Regung fern.

Der König ist nicht mehr er selbst, verführt
Von Schmeichlern;

Das Volk hat er geschatzt mit schweren Steuern
Und abgewandt ihr Herz; gebüßt die Edlen
Um alten Zwist und abgewandt ihr Herz.
Und neue Pressungen ersinnt man täglich,
Als offne Brief, Darlehn, und was nicht alles.

Er gab ja durch Verträge schmählich auf,
Was edle Ahnen mit dem Schwert erworben.

Er braucht im Frieden mehr, als sie im Krieg.

Der König ist zum Bankrottierer worden.
Unehr und Untergang hängt über ihm.

Während der Reise Richard's nach Irland kehrt der verbannte Bolingbroke zurück; des Königs Anhänger fallen ab und wenden sich dem Rebellen zu; über den unvorbereiteten Monarchen bricht das Leid schnell herein. Als er den Boden seines Reiches wieder betritt, äußert sich die ihm innewohnende Gewißheit der Unverletzlichkeit des Herrscherhauptes, in prunkvoller Rede:

Nicht alle Fluth im wüsten Meere kann
Den Balsam vom gesalbten König waschen;
Der Odem ird'scher Männer kann des Herrn
Geweihten Stellvertreter nicht entsetzen:
Für jeden Mann, den Bolingbroke gepreßt,
Den Stahl zu richten auf die goldne Krone,
Hat Gott für seinen Richard einen Engel
In Himmelssold: mit Engeln im Gefecht

Besteht kein Mensch; der Himmel schützt das Recht.

Diese anscheinend glaubensfreudige Zuversicht ist indeß nur der Ausdruck seiner Auffassung der Königswürde, ein prahlerisches Pochen auf den äußerlichen Majestätsbegriff, den er niemals mit wahrer Größe auszufüllen vermochte; durchaus unwahr ist die Frömmigkeit und Fassung, die er hier zur Schau trägt; lediglich selbsttäuscherische Resignation läßt ihn sprechen: «Du kannst nur weltlichen Verlust mir melden», um ihn dann sogleich düsteren Phantasien zu überlassen, in denen keine Spur tröstenden Gottvertrauens mehr zu finden ist. Auch die Worte auf den Mauern von Flint-Burg:

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scheinen mehr die Mittel zur Erzielung eines packenden Eindrucks auf Bolingbroke als die Aeußerungen wirklicher Frömmigkeit zu sein, wie endlich auch die Andeutung einer Art künftiger Pilgerschaft hauptsächlich auf ergreifende Wirkung berechnet ist:

Ich gebe mein Geschmeid' um Betkorallen,

Den prächtigen Palast für eine Klause,
Die bunte Tracht für eines Bettlers Mantel,

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