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Die Aussprache des deutschen G.*)

Ich weiss freilich nicht, ob ich durch das, was ich in Nachfolgendem mitzutheilen gedenke, mich nicht etwa der Gefahr aussetze, Eulen nach Athen zu tragen; indessen handelt es sich um eine Angelegenheit, die mich schon seit längerer Zeit mit einem gewissen Ingrimm erfüllt. Da es nun jedenfalls besser ist, seine Galle auszuschütten, als seinen Aerger herunterzuschlucken, so möge die Sache ihren Lauf haben. Es handelt sich nämlich um nichts Grösseres und nichts Geringeres als um die Aussprache des deutschen G, in welcher Beziehung unter wissenschaftlich Gebildeten wie unter Laien eine Verwirrung herrscht, aus der die Meisten sich kaum herausfinden können. Während Einige das G in Wörtern wie: Tag, Weg, neigt, zeigt nach Art des ch, also weich aussprechen, sagen Andere: Tak, Wek, neikt, zeikt, und zwar mit einer Consequenz, welche die augenscheinlichsten Kennzeichen der Leidenschaftlichkeit an sich trägt. Erwägt man nun, dass nicht selten Lehrer einer und derselben Anstalt, und noch dazu Lehrer der deutschen Sprache, die es mit dem mündlichen Vortrag zu thun haben, das G ganz verschieden aussprechen; ja dass in Lehrerbildungsanstalten geradezu das Unrichtige gelehrt wird: so muss man die Jugend wirklich bedauern, die in der That nicht mehr weiss, woran sie ist. Ein Lehrer, der consequent taktäklich und köniklich sagte, antwortete mir auf meine Interpellation: „Ich habe immer gehört: Gist G." Das sollte nun wohl so viel heissen, als er hatte sich um die Sache gar

*) Nachfolgender Vortrag ist von dem Unterzeichneten in der Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen frei gehalten und nachher aus dem Gedächtniss niedergeschrieben worden, wobei indessen einige dem Verfasser ertheilte werthvolle Winke eine angemessene Berücksichtigung erfahren haben.

Archiv f. n. Sprachen. XXXIX.

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nicht bekümmert. Ein Anderer, der das Deutsche im Auslande gelernt, aber in Deutschland unterrichtet, bezeichnete es geradezu als fehlerhaft, wenn man das G nicht immer nach Art des K aussprechen wollte. Was würden wohl die Franzosen sagen, wenn wir die verschiedenartige Aussprache ihres c, g und s als eine fehlerhafte bezeichnen und ihnen für jeden dieser Buchstaben eine einzige octroyiren wollten?

Wonach soll man sich nun aber richten? Eine Academie, die wir in Betreff der Aussprache als gesetzgebenden Körper zu betrachten hätten, fehlt uns zur Zeit. Dass die Kanzel und das Katheder uns im Stich lassen, ist eine Wahrheit, von der man sich jeden Tag überzeugen kann. Und die Hofbühnen, welche vor Allem die Aufgabe hätten, eine mustergültige Aussprache zu pflegen, bieten uns, seitdem die Wirkungen der Iffland'schen Schule im Erlöschen begriffen sind, auch keine Bürgschaft mehr für ein correctes Sprechen. Die Verwirrung ist also eine allgemeine, und wer mit dem alttestamentlichen Standpunkte vertraut ist, weiss, welchem Ereigniss wir dieselbe zu verdanken haben. Sollen wir uns nun vielleicht mit den Worten der Jungfrau von Orleans (V, 4) trösten: „Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!" Das möchte doch ein wenig lange dauern. Vielleicht ist es besser, wir erinnern uns des Sprüchwortes: „Aide-toi et Dieu t'aidera," fahren einstweilen selbst hernieder und sehen, ob wir nicht das umgekehrte Experiment machen und Ordnung in eine Angelegenheit bringen können, die keinesweges zu den gleichgültigen gehört.

Sieht man sich den orthoepischen Theil unserer deutschen Grammatiken an, so findet man allerdings einzelne Winke und Bemerkungen über die Aussprache der Buchstaben, wobei zugleich der Dialectverschiedenheiten erwähnt wird; was aber für den künstlerischen Vortrag als zu Recht bestehend zu betrachten ist, eine vernünftige Theorie der Aussprache, das ist bis jetzt ein höchst dürftig angebautes Feld. Der beste Versuch, der in dieser Beziehung gemacht worden ist, liegt in einem Werke unseres beliebten Lustspieldichters Roderich Benedix vor, betitelt: Der mündliche Vortrag"*), in dessen erstem Theile „Die reine und deutliche Aussprache des Hochdeutschen" er sich in eingehender Weise über sämmtliche Buchstaben ausspricht.

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Indem wir das, was er Seite 37 über die Gaumenlaute sagt, der

*) Leipzig, bei J. J. Weber. 1859. 3 Theile.

nachfolgenden Auseinandersetzung zu Grunde legen, wollen wir das den Buchstaben G Betreffende etwas genauer zu erörtern und vor Allem durch eine entsprechende Anzahl von Beispielen zu belegen suchen. Wir gehen hierbei von der Ansicht aus, dass bei einer lebenden, der fortdauernden Entwickelung unterworfenen Sprache der Gebrauch, wie er sich in guten Schriftstellern documentirt, allein massgebend sein kann.

Nach R. Benedix sind die durch j, g, ch und k bezeichneten Gaumenlaute mit einander verwandt, und zwar so, dass sie von dem weichhauchenden j bis zum hart abgestossenen k aufsteigen. Das j wie das k haben nur einen Laut; die dazwischen liegenden Abstufungen werden durch g und ch bezeichnet. Mit dem letzteren wird im Ganzen weniger Unfug getrieben; höchstens dass Einzelne, obwohl sie nach und hoch sagen, doch consequent näkstens und hökstens sprechen; das g aber wird wahrhaft maltraitirt.

Das G hat vier Laute:

1) einen weichhauchenden (g),*) ähnlich dem j, wie in hegen, bewegen, biegen, siegen, lügen, trügen.

2) einen harthauchenden (g), nahe an r streifend, wie in nagen, klagen, Bogen, Wogen, Lug, Trug, Augen.

3) einen anschlagenden (g), dem k sich nähernd, wie in Gabe, Gott, gut, glatt, gross.

4) in Verbindung mit n einen nasalen, wie in Ring, Ding, lange, bange.

Betrachten wir nunmehr das G in seinen verschiedenen Stellungen, als Anlaut, als Auslaut und als Inlaut.

I. Gals Anlaut wird durchweg gelindanschlagend ausgesprochen, also dem k verwandt, nur nicht ganz so kräftig; also: Gabe, Geber, Gicht, Gott, Gunst, Gyps, Glas, Graf. In diesem Punkte sind wohl alle Gebildeten einig.

Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die Augmentsilben der Participialformen solcher Zeitwörter, deren Infinitiv mit g, k oder q anfängt. Diese Augmentsilben werden aus Rücksichten des Wohlklanges weich ausgesprochen; also: gegangen, gegeben, gegolten, gekannt, geknickt, gequält, gequetscht. Wer kein feines Ohr hat,

*) Wir werden in dem Nachfolgenden, um unsern Lesern verständlich zu werden, die drei Laute, wie hier: 1) mit Cursiv schrift, 2) mit gewöhnlicher, 3) mit fetter Schrift bezeichnen.

wird hierauf allerdings nichts geben, wer aber Sinn für einen schönen Vortrag hat, wird gewiss verlangen :

Der Herr, der mir's gegeben;"

„Ich sehe dich gegürtet und gerüstet.“

II. G als Auslaut hat eine zweifache Aussprache.

1) harthauchend, d. h. ganz wie das in dem hinteren Theile der Mundhöhle hervorgebrachte ch, nach den tiefen Vocalen a, o, u, also: Tag, log, bog, Lug, Trug.

2) weichhauchend, d. h. fast wie j oder das im vorderen Theile der Mundhöhle hervorgebrachte ch, nach den hohen Vocalen e und I, wie auch nach 1 und r; also: Weg, Steg, Sieg, Krieg, Balg, Talg, Berg, Burg. *)

Gegen diese Regeln wird am meisten gesündigt, trotz unserer besten Dichter, die dreist g mit ch reimen; man vergleiche:

[blocks in formation]

Dringe durch, dringe durch
Recht freudevoll,

Mein Lied von der Burg

In das Sturmesgeroll."

"

(Baron de la Motte Fouqué, Thurmwächters Lied.)

Und dies geheimnissvolle Buch

Von Nostradamus eigner Hand

Ist dir es nicht Geleit genug?"

(Göthe, Faust.)

(Göthe, Faust)

„Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach;
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag."

Ja selbst der in Betreff des Rhythmus und des Reimes so strenge

Platen reimt:

„Es war die britt'sche Klinge,
Die mit gewalt'gem Schlag
Die tausend Eisenringe

Der Sclavenkette brach."

(Epistel an Joseph Xylander.)

*) Mit der Aussprache des G im Deutschen ist es also gerade umgekehrt wie im Französischen und Italienischen, wo sie von dem nachfolgenden Vocal ahhängt.

„Im Schatten des Waldes im Buchengezweig
Da regt sich's und raschelt und flüstert zugleich."*)
(E. Geibel, Zigeunerleben.)

Den eben angeführten Dichterstellen wird man doch nicht den Vorwurf machen wollen, dass sie consonantisch unreine Reime enthalten, wie Boden und Todten, heute und Freude, Muse und Grusse, sandten und fanden? Vocalisch unreine Reime gestatten unsere Dichter sich eher. Wer den Anfang von Schiller's Klage der Ceres vortragen hört:

Ist der holde Lenz erschienen?
Hat die Erde sich verjüngt?
Die besonnten Hügel grünen,
Und des Eises Rinde springt
Aus der Ströme blauem Spiegel
Lacht der unbewölkte Zeus,
Milder wehen Zephyr's Flügel,
Augen treibt das junge Reis.“

der achtet gewiss kaum darauf, dass hier kein einziger Reim vocalisch rein ist, während Platen's consonantisch unreine Reime:

„Zu Zeugen ruf" ich unsre deutsche Muse.
Mir zeugt der Musengott, das Licht der Welt:
Schon lange hätt' ich deinem lieben Grusse
Auch meine Grüsse liebend zugesellt."

(Epistel an Nathan Schlichtegroll.)

„Freund, unser deutscher Krieger
Hat gern aus jenem Land
Der fränkischen Betrüger
Die Schritte weggewandt."

(Epistel an Joseph Xylander.)

für das Ohr wie für das Auge zugleich höchst störend wirken. Uebrigens ist mir keine Verslehre bekannt, welche die oben angeführten Dichterstellen, oder überhaupt Reime von g und ch als consonantisch unreine bezeichnete. Warum will man also Tag, Weg, genug, königlich sagen, während doch Niemand König, sondern König sagt. Und nun denke man sich Berg, Burg, Sarg, Balg, klug, was man leider nicht nur hört, sondern was in Schulen sogar gelehrt wird; oder gar: Sieg, Krieg, heftig, hastig, er belog mich. Es ist kaum

*) In Bezug auf das letzte Beispiel bemerken wir, dass das ch nach den tiefen Vocalen a, o, u die harthauchende, nach den hohen Vocalen e und i, sowie nach 1 und r, die weichhauchende Aussprache hat, also mit g denselben Gesetzen unterworfen ist. Man vergleiche: nach, hoch, Tuch; Blech, erblich, reich; welch, horch. Auch nach n, wie in manch' wird es weich ausgesprochen, was mit ng aber nicht zusammentrifft.

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