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Ueber die Aussprache des Altfranzöfischen.

In Bezug auf die Aussprache des Altfranzöfischen ist bei den neueren franzöfischen Forschern eine Verschidenheit der Anfichten hervorgetreten, welche wol um fo weniger unbeachtet bleiben darf, als man in neuster Zeit in Frankreich angefangen hat, das Studium des Altfranzöfischen in den Unterrichtsplan der höheren Schulen aufzunemen.

Die früheren franzöfischen Sprachforscher erblickten in dem Altfranzösischen meist nur eine rohe und barbarische Sprache. Dife Anficht von der großen Sprachbarbarei des Mittelalters geht von der Mitte des 16. Jarhunderts ab fast durch die ganze französische Litteratur hindurch; die Worte,,wild" und ,,barbarisch" treten einem da fortwärend entgegen, und fo fagt auch noch Voltaire:

,,Toutes les lettres qu'on a retranchées, depuis le moyen âge, dans la prononciation, mais qu'on a conservées en écrivant, sont nos anciens habits de sauvage," und an einer andern Stelle: „Notre langue s'est formée du latin en abrégeant les mots, parce-que c'est le propre des barbares que d'abréger tous les mots." (Vgl. Francis Wey, Histoire des révolutions du langage en France. Paris; Didot 1848. S. 268). Auch die neuste Zeit bringt die in Rede stehende Anficht noch oft genug an den Tag.

Wenn man aber auch von der naturgemäßen, nach bestimmten Gefetzen der Formschwächung und der Lautveränderungen erfolgenden Entwicklung der neueren Sprachen aus den ältern Volksdialekten lange Zeit keine richtige Vorstellung hatte, fo nam man doch fast allgemein an, dass die altfranz. Schreiber, wenn auch mit mannigfachen abweichenden Conventionen, welche bei der großen Beschränktheit des lat. Alphabets unvermeidlich waren, doch im ganzen jeder feinen Dialekt im wesentlichen fo geschriben habe, wie er ihn aussprach. Dife Anficht hat auch noch heute die gewichtigsten Vertreter, fowol in Frank

reich, wie namentlich auch unter den deutschen Forschern. So spricht fich u. a. Wilh. Wackernagel (Altfr. Lieder S. 124-5) folgendermaßen aus:

„Bei einem Idiom, das folchermaßen wie das franzöfische die Grundlaute verändert und haüfig denfelben Buchstab je nach Gelegenheit bald fo, bald anders ausspricht, muss in notwendiger Folge die schriftliche Darstellung etwas ungewisses erhalten und hier und dorthin schwanken zwischen dem alten und dem neuen Laute, zwischen dem, was Etymologie, und dem, was lebendig geltende Aussprache fordert. Das Neufranzöfische hält fich, im ganzen genommen, an jene und fucht auch da, wo der Laut nicht mer der lateinische ist, doch mit dem lateinischen Zeichen auszukommen; ja es schreibt Laute, die gar nicht mer gesprochen werden. Anders das Altfranzöfische. Hier übt in der Schreibung die wirk liche Aussprache ein stark überwigendes Recht gegen die Etymologie. Zwar one confequente Durchfürung: die war nicht wol möglich; aber auch fo immer lerreich und mer als eine Frage entscheidend. Wo die schriftliche Darstellung eines Lautes zwischen beiden Principien schwankt, erfaren wir damit, welcher Etymologie man fich wol bewusst gewefen, wie aber doch die lebendige Sprache davon abgewichen fei; wo die Schreibung überall fich gleich bleibt, geht daraus hervor, dass fie noch den lebendigen Laut getroffen und man das Wort gerade fo auch gesprochen habe.

Es gab mithin im Altfr. noch kein stummes s: difer Confonant ward noch überall gehört: denn man schreibt ihn noch überall. Xours (nfr. sourd), conxeus (conçu), oɛaixe (osasse), baissier und baixier: mithin x ein geschärftes und gleich einem doppelten s."

Immer alfo ist z. B. das geschribene s oder x noch ein wirklich ausgesprochener Dentallaut.

X erscheint schon früh im Vulgärlatein assimilirt zu ss und daraus erklärt fich am einfachsten fein haufiger Gebrauch für scharfes s.

Schuchardt, der Vocalismus des Vulgärlateins, Leipzig 1866, fagt darüber S. 22: „X ging durch gs in ss oder 8 über; für x gewären die Denkmäler schon der ersten Jarhunderte nach Chr. nicht felten ss und s, aber meines Wissens nur eine einzige und spate Inschrift gs: vigsid (Mai Inscr. Chr. 435, 1.)“

Ferner S. 132 f.: „Am frühsten trat x vor e und t in s über: sescenti; sescen (tas); sescentiens; Sestius; praetestati." Umgekerte Schreibung z. B. in textam.

Sodann am Ende der Wörter: mers; felatris; Vinatris; Felis; subornatris; coius; es. - Umgekerte Schreibung: Tigrix; Atimetux; milex etc.

Am spätesten vor Vocalen: conflississet; obstrinserit Zeusis; Masimilla; visit, vissit, vist; Alesander. Umgekerte Schreibung: Daximia, Eufraxia, Sucexus.

Aus christlichen Denkmälern lassen fich dife Beispile wenigstens um das fünffache vermeren. Die ältesten Handschriften find voll von folchen. Haüfig ist die Schreibung s X = X s, fowie x S = S x: Epiteusix, Xersex, Xystus, xesus, xes.. Man bemerke die verschidenen Bezeichnungen x, cs, cx, cxs, xs, xx, SS, S. Statt x wurde zuweilen auch z geschriben: Alezandro, bizit, zenodochium und umgekert x für z: Xeno, Xion."

S. 75. Noch im 10. und 11. Jarh. nach Chr. s x: conius, prosima, donatris. Xs: potenx, iuxione. (Die näheren Angaben der Belegstellen fehe man a. a. O).

Über das zweichem s fagt Schuchardt S. 74: „Z fr. = weichem s hat uralte Antecedenzien. Z ist für das Carmen Saliare bezeugt; wir lefen Cozano auf einer Münze, die wol dem Ende des 5. Jarh. der Stadt angehört. Schreibungen wie Azmeni, Cozmi, Lezbius, zmaragdus find in der Kaiferzeit gäng und gäbe; feltener kommt zs zwischen zwei Vocalen vor, fo Zozima. Sogar für anlautendes (alfo scharfes s) fehen wir es gebraucht in Zora, Zolonius, zinnum (= signum) u. a. Auslautendes s vertritt z in Ferelez, Zuliz. In Frankreich wurde die Geltung des z als weiches s durchgefürt."

Wackernagel bespricht verschidene Einzelnheiten der altfranz. Aussprache, foweit fie fich auf die von ihm herausgegebenen Liedertexte beziehen. Manches ist natürlich noch schwankend; fo wird z. B. der Laut des jetzigen eu bald durch eu bald durch ue dargestellt u. drgl. Immer aber wird als Hauptgrundfatz festgehalten, dass das phonetische Princip das entschiden herschende ist, und dass die geschribenen Buchstaben auch wirklich ausgesprochen wurden, und dife Anficht ist auch überhaupt in der neueren philologischen Schule die vorherschende.

Eine difer gerade entgegengesetzte Ansicht ist nun aber von einem

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neueren franz. Gelerten aufgestellt, der fich um die altfranz. Litteratur vilfache Verdienste erworben hat, nemlich von Génin (Variations du langage français). Difer stellt als Grundfatz auf: dass die altfranz. Wörter im ganzen schon nach neufranz. Weife ausgesprochen feien, und dass die im Neufranzöfischen stummen Buchstaben auch schon im Altfranz. durchweg stumm gewefen feien. Génin fagt ausdrücklich, um hier aus den zalreichen Beispilen nur ein par hervorzuheben, u. a., dass in coup das p in jeder Periode des Franz. stumm gewefen sei, ebenfo das b in debte, debteur: „Debt, debteur ont toujours été prononcés: dette, detteur. Le XVIe siècle très pédant avait retabli le b sur le papier, pour rappeler l'étymologie debitum, debitor."

Ferner hat Génin, fich auf Palsgrave stützend, den Satz aufgestellt, dass von zwei oder mereren unmittelbar zufammenstoßenden Confonanten nur der lezte ausgesprochen worden fei.

Mir scheint nun dife von Génin aufgestellte Theorie, fo geschickt fie auch von ihm motivirt ist, doch den größten Bedenken zu unterligen. Diefelbe ist wol hauptfächlich aus zwei Gründen hervorgegangen, nemlich 1) aus dem Streben, dem dem Mittelalter von den Franzofen fortwärend in der übertribensten Weise gemachten Vorwurf einer vermeintlichen Sprachbarbarei entgegenzutreten, und 2) aus dem Streben, den Unterricht im Altfranz. innerhalb der Collèges zu erleichtern.

Schon in Frankreich felbst haben fich bald Stimmen gegen die Génin'sche Theorie erhoben, fo u. a. Francis Wey in dem schon oben angefürten Werke. In difem heißt es S. 65:

„Au moyen âge l'orthographe devait varier comme la prononciation, puisqu'elle n'en était que le calque.“ „Les auteurs s'efforçaient de copier le son de la parole." und S. 67: „J'ai remarqué que les paysans qui écrivent sans presque avoir lu et qui ne savent pas la grammaire, orthographient tous les mots qu'ils prononcent encore comme on dut le faire au moyen âge, de la même manière que les copistes du 13ième siècle, et que les variations qu'on trouverait entre leurs textes ne vont pas au delà de celles qu'introduisaient alors les divergences de dialectes ou d'accents. Ne saurait-on en conclure que ceuxci créaient leur orthographe d'après les mêmes données ?"

Dennoch find einige neuere franz. Schriftsteller widerum ganz der Theorie Génin's beigetreten, fo namentlich Littré und Pelissier.

Littré (Histoire de la langue française, T. I, Paris 1863, p. 322-27) spricht sich darüber folgendermaßen aus;

,,In einer Unterfuchung über das Altfranzöfische darf die Orthographie nicht mit Schweigen übergangen werden. Sie weicht in fo vilen Punkten von unferm modernen Systeme ab, und bietet in sich felbst fo vile Variationen dar, dass es einer gewissen Übung bedarf, um die alten Texte trotz des Gewandes, in dem fie uns geboten find, fließend zu lefen. Da die Orthographie rein Sache der Convention ist, fo habe ich mich in meinem Übertragungsverfuche*) der neuen Orthographie zugeneigt, welche den Vorzug hat, unfern Augen vertraut zu fein, aber ich habe mich ir zugeneigt, one die alte Orthographie erheblich zu ändern.

Die abweichende Orthographie, wenn fie auch den Grund der Dinge nicht berürt, stört nichts desto weniger die erste Beschäftigung mit unferer alten Sprache fer. Jede Darstellung von Lauten durch Buchstaben ist eine Convention. Wendet man sich nun zu den mittelalterlichen Texten, fo begegnet man einer ganz verschidenen Convention, welche erst die Augen und dann den Geist vollständig irre fürt. So stellen wir allgemein den Laut eu durch eu dar: il peut; das Mittelalter stellt ihn haufig durch ue dar: il puet; cuer ist cœur, ues ist œufs. Für eux der heutigen Sprache steht in den Manuscripten gewönlich ex: ferner y ex ist unfer yeux, Diex unfer Dieu, miex unfer mieux; ebenfo ax für die Endung aux: chevax ist unfer chevaux, beax unfer beaux etc.

Oft bewart auch das Mittelalter die Etymologie; die Silbe au stellt es durch al dar: altre ist unfer autre, halt unfer haut, helme unfer haume. Um fich eine Vorstellung davon zu machen, in welche Irrtümer uns dife Abweichung der Orthographie fast unvermeidlich fürt, neme man nur einmal an, dass man die Conventionen nicht kenne, durch welche wir gewissen Buchstabencombinationen einen speciellen Laut beilegen; dann würde unfer Wort dieux zu diéücs, autre zu aütre werden, und alles würde aufhören erkennbar zu sein. Dis muss aber unvermeidlich eintreten, wenn man einen Text des Mittelalters lift; man spreche die Wörter fo aus, wie fie geschriben find in iex, diex, miex, ues, altre, und man erstaunt über das Befremdende difer Töne, welche fich jedoch von den unfern nur durch die Darstellung unterscheiden. Entfernet dife Quelle des Irrtums von dem Auge, deutet an: dass das alte Franzöfisch überall, wo die Worte

*) Ueberfetzung des ersten Buchs der Ilias ins Altfranzöfische. 3

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